Prof. Dr. Martin Henssler
1. Für den Arbeitnehmerstatus sprechende Indizien
Rz. 23
Im Übrigen behalten diejenigen Indizien ihre Bedeutung, die von der Rechtsprechung des BAG bislang herangezogen werden. Dabei bietet der nicht weiter verfolgte Kriterienkatalog des ersten Referentenentwurfs in § 611a Abs. 2 S. 2 b) bis f) BGB-RefE-I in gewissem Sinne eine Fundgrube.
Abzustellen ist also neben (1) dem Weisungsrecht hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit auf (2) den Ort der Dienstleistung (eigene Arbeitsorganisation oder Tätigkeit in den Räumen des Vertragspartners), (3) die Verwendung von Betriebsmitteln des Auftraggebers oder eines Dritten, (4) die Zusammenarbeit mit Personen, die von dem Vertragspartner eingesetzt oder beauftragt sind, (5) die ausschließliche oder überwiegende Tätigkeit für den Vertragspartner und (6) das Vorhalten einer eigenen betriebliche Organisation, um die geschuldete Leistung erbringen zu können.
So wird von der Rechtsprechung mit Blick auf die Nr. 5 als Indiz der Umstand anerkannt, ob die Zusammenarbeit dem Auftragnehmer vertraglich sowie faktisch noch Freiräume belässt, auch anderen Geschäftsbeziehungen nachkommen zu können. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Auftragnehmer tatsächlich noch weitere Auftraggeber hat und damit diese Möglichkeit tatsächlich nutzt. Freiräume für andere Geschäftsbeziehungen sind allerdings nicht mehr gegeben, wenn der Auftragnehmer zeitlich so stark durch den Auftraggeber gebunden wird (z.B. zur Verfügung stehen von 9–17 Uhr täglich), dass deswegen eine Annahme anderer Aufträge faktisch quasi unmöglich wird. Über die Indizwirkung eines Arbeitsverhältnisses hilft dann auch eine ausdrückliche Vereinbarung, dass andere Aufträge angenommen werden können, nicht hinweg.
In einer neueren Entscheidung zum Arbeitnehmerstatus eines sog. Crowdworkers ist das BAG davon ausgegangen, dass eine faktische Lenkung des Arbeitnehmers mittels des von einer digitalen Plattform angebotenen Portfolios von Microjobs sogar eine fehlende rechtliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zur fortgesetzten Arbeitsleistung ausgleichen könne. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Sie beruht letztlich darauf, die Hauptleistungspflicht des Arbeitsvertrags durch ein lediglich faktisch vermitteltes, überrechtliches Merkmal zu ersetzen. Diese faktische Steuerungsmacht des Arbeitgebers als Rahmenbedingung plattformvermittelter Microjobs darf nach zutreffender Ansicht aber nicht genügen, um ein Dauerschuldverhältnis in Form eines Arbeitsverhältnisses anzunehmen.
2. Kriterien des § 611a Abs. 2 S. 2 g) und h) BGB-RefE-I
Rz. 24
Zurückhaltung ist dagegen bei der Verwertung der Kriterien aus § 611a Abs. 2 S. 2 g) und h) BGB-RefE-I geboten. Sie stellen fälschlich auf werkvertragliche Elemente ab, die aber für die arbeitsrechtlich relevante Abgrenzung keine wesentliche Rolle spielen. In der Begründung des ersten Referentenentwurfs wird sehr deutlich, dass mit den Kriterien des § 611a Abs. 2g) und h) BGB-RefE-I allenfalls am Rande die für § 611a BGB relevante Gruppe der Soloselbstständigen angesprochen werden soll, die, wie der offenbar als Anlass für die Regelung dienende "Denkmalpfleger" aus einer seinerzeit aktuellen Entscheidung des BAG, auf der Grundlage eines (vermeintlichen) Werkvertrages tätig werden. Vielmehr soll es primär um die Einordnung von Drittpersonal gehen, das auf der Grundlage eines von seinem Arbeitgeber abgeschlossenen Werkvertrages tätig wird. Das ergibt sich schon daraus, dass zur Begründung für die Aufnahme der Kriterien auf die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg v. 1. 8. 2013 – 2 Sa 6/13 verwiesen wird, in der es um das viel diskutierte sog. Ticket System ging, und damit allein um die Abgrenzung Werkvertrag – Arbeitnehmerüberlassung. Insbesondere das Kriterium des § 611a Abs. 2 S. 2 g) BGB-RefE-I dürfte sogar ausschließlich bei der Abgrenzung von Dienst- und Werkverträgen von der Zeitarbeit eine Rolle spielen. Das BAG hat in der in der Entwurfsbegründung ergänzend zur Rechtfertigung herangezogenen "Denkmalpflegerentscheidung" dementsprechend dem Umstand, dass in den Vertrag Regelungen zur Gewährleistung und werkvertraglichen Nachbesserung aufgenommen worden waren, ausdrücklich keine Bedeutung für den Arbeitnehmerstatus beigemessen. Das Kriterium hätte daher, wenn überhaupt bei § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG verortet werden sollen. Dort verzichtete aber schon der Referentenentwurf sowohl auf einen eigenen Kriterienkatalog als auch auf einen Verweis auf denjenigen des § 611a Abs. 2 BGB-RefE-I, was im Falle seiner Umsetzung Auslegungsfragen aufgeworfen und zur Verunsicherung beigetragen hätte.