Rz. 412
Zitat
SGB VII §§ 105 Abs. 1 S. 1, 106 Abs. 3 Alt. 3, 108 Abs. 2; SGB X § 108 Abs. 2
1. |
Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 108 Abs. 2 SGB X wegen unterlassener Beteiligung des Schädigers am Verwaltungsverfahren ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie eine bloße Förmelei wäre. |
2. |
Diente die Tätigkeit des Schädigers sowohl dem Interesse des Unfallbetriebs als auch dem seines eigenen bzw. seines Stammunternehmens, kann sie dem Unfallbetrieb nur dann i.S.d. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII zugeordnet werden, wenn sie der Sache nach für diesen und nicht für das eigene Unternehmen geleistet wurde. |
3. |
Zum Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII. |
a) Der Fall
Rz. 413
Der Kläger nahm die Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aus einem Unfall in Anspruch.
Rz. 414
Der Kläger war bei der B. AG angestellt und arbeitete in deren Werk in D. Er wurde an Arbeitstagen von einem sogenannten Werksbus der B. AG von seinem Wohnort in E. abgeholt und an seine Arbeitsstelle gebracht. Mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse beauftragte die B. AG die Beklagte zu 2, die hierfür u.a. den bei ihr als Busfahrer angestellten Beklagten zu 1 einsetzte. Am 22.6.2009 gegen 4.10 Uhr holte der Beklagte zu 1 den Kläger mit einem Bus der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, in E. ab und erreichte gegen 4.40 Uhr die Ausstiegsstelle für den Werksbus der B. AG in D. Der Kläger stieg an der hinteren Tür des Busses aus, kam dabei zu Fall und zog sich eine distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung zu. Die für die B. AG zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall erkannte den Unfall mit Bescheid v. 23.9.2010 als Arbeitsunfall an.
Rz. 415
Mit der Behauptung, der Beklagte zu 1 habe die hintere Bustür geschlossen, als er gerade im Begriff gewesen sei, auszusteigen, begehrte der Kläger die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden. Die Beklagten machten geltend, ihre Haftung sei gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen, weil der Beklagte zu 1 zum Unfallzeitpunkt in den Betrieb der B. AG wie ein Beschäftigter i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII eingegliedert gewesen sei.
Rz. 416
Das LG hat die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 9.000 EUR sowie außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und einer Auslagenpauschale verurteilt und dem Feststellungsantrag des Klägers entsprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom OLG zugelassenen Revision begehrte der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 417
Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Den Beklagten kam kein Haftungsprivileg zugute.
Rz. 418
Das Berufungsgericht hatte allerdings zu Recht angenommen, dass die Haftung des Beklagten zu 1 nicht gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII ausgeschlossen war. Nach dieser Bestimmung sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, von der Haftung für Personenschäden freigestellt, wenn sie den Unfall weder vorsätzlich noch auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Beklagte zu 1 hatte im Unfallzeitpunkt keine betriebliche Tätigkeit für den Betrieb erbracht, in dem der Kläger versichert war und dem der Versicherungsfall zuzurechnen war.
Rz. 419
Der Kläger hatte den Unfall als Versicherter aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses zur B. AG in deren Werk in D. erlitten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Dies stand mit Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII aufgrund des Bescheids v. 23.9.2010 fest, mit dem die für die B. AG zuständige Berufsgenossenschaft Holz und Metall den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt hatte.
Rz. 420
Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII ist der Zivilrichter an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat und welchem Betrieb der Unfall zuzurechnen ist (vgl. Senatsurt. v. 22.4.2008 – VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn 9, 13; v. 19.5.2009 – VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn 17, 21).
Rz. 421
Zwar war dem Berufungsurteil nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob der Bescheid v. 23.9.2010 auch den Beklagten zu 1 und 2 gegenüber bestandskräftig geworden war. Das Berufungsgericht hatte insbesondere keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Beklagten zu 1 und 2...