Rz. 433
Zitat
ZPO § 325 Abs. 1; BGB §§ 407 Abs. 2, 412; SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3; SGB X § 116 Abs. 1
1. |
Eine rechtskräftige Entscheidung entfaltet Bindungswirkung regelmäßig nur gegenüber den Parteien des Vorprozesses. |
2. |
Für die Kenntnis von einem Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X reicht aus, dass der Schädiger tatsächliche Umstände kennt, von denen allgemein bekannt ist, dass sie versicherungspflichtig machen. |
3. |
Eine "gemeinsame" Betriebsstätte setzt eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation voraus. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. |
a) Der Fall
Rz. 434
Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, machte Ansprüche gegen die Beklagte aus gemäß § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht für Aufwendungen geltend, die sie wegen unfallbedingter Verletzungen des bei ihr versicherten K. erbracht hatte.
Rz. 435
Am 2.1.2008 gegen 11.00 Uhr befuhr K. mit dem Lkw seiner Arbeitgeberin, einer Transportfirma, das Betriebsgelände der Beklagten, um dort Kalk zu laden. Da die Verladestation durch einen anderen Lkw besetzt war, verließ K. das Fahrzeug, um den Domdeckel seines Lkw zu öffnen. Im Folgenden stürzte K. auf einer Eisplatte. Der Unfallhergang war streitig und ungeklärt. Infolge des Sturzes zog sich K. erhebliche Verletzungen zu und war längere Zeit arbeitsunfähig. Der Klägerin entstanden hierdurch Aufwendungen in Höhe von 34.371,83 EUR. Sie machte unter Anrechnung eines Mitverschuldens des Versicherten von 30 % gegenüber der Beklagten 70 % der Aufwendungen geltend.
Rz. 436
Der Versicherte der Klägerin war in einem Vorprozess gegen die Beklagte unterlegen. Die Klageabweisung hatte das LG auf die Haftungsprivilegierung der Beklagten nach §§ 106 Abs. 3 Alt. 3, 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII gestützt. Das OLG hatte sich der Beurteilung des LG angeschlossen und die Berufung des Versicherten K. zurückgewiesen. Das Urteil war rechtskräftig geworden.
Rz. 437
Im vorliegenden Rechtsstreit hat sich das LG an die rechtskräftige Entscheidung für gebunden gehalten und die Klage ebenfalls abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 438
Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin aus übergegangenem Recht des Versicherten von der Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) beanspruchen kann. Ein solcher Anspruch war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht aufgrund einer Haftungsprivilegierung wegen des Zusammenwirkens auf einer gemeinsamen Betriebsstätte (§ 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII) ausgeschlossen.
Rz. 439
Das rechtskräftige Urteil im Verfahren zwischen dem Versicherten K. und der Beklagten, durch das die Klage wegen der Haftungsprivilegierung der Beklagten abgewiesen worden war, entfaltete keine Bindungswirkung im vorliegenden Rechtsstreit zugunsten der Beklagten.
Rz. 440
Das Urteil wirkte Rechtskraft nur zwischen den damaligen Prozessparteien. Hingegen erstreckte sich die Rechtskraft nicht auf Dritte, die am Prozess nicht teilgenommen haben und deshalb auf die Entscheidungsfindung keinen Einfluss hatten. Einer der Fälle, in denen das Gesetz die Rechtskraft auf Dritte erstreckt (§§ 325 ff. ZPO), lag offensichtlich nicht vor.
Rz. 441
Für die Anwendung der Regelung in § 325 Abs. 1 ZPO, wonach das rechtskräftige Urteil zugleich für und gegen die Personen wirkt, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind, fehlte, dass die Ansprüche des Versicherten K. erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit auf die Klägerin übergegangen waren. Der Anspruchsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X lag zeitlich jedenfalls vor der Rechtshängigkeit des Vorprozesses. Liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 SGB X vor, so geht der Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger kraft Gesetzes, d.h. ohne weiteres Zutun des regressberechtigten Sozialleistungsträgers, auf diesen über. Der Übergang auf einen Sozialversicherungsträger erfolgt dem Grunde nach bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses, wenn eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Verletzten irgendwie in Betracht kommt, also nicht völlig unwahrscheinlich ist. Die im Streit befindlichen Schadensersatzansprüche gingen danach zeitlich vor der Rechtshängigkeit des Vorprozesses auf die Klägerin über, da offensichtlich war, dass die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin für die Verletzungen des bei ihr Versicherten K. Leistungen zu erbringen haben würde. § 325 Abs. 1 ZPO bot mithin keine Grundlage für eine Erstreckung der Rechtskraft des Urteils, das zwischen dem Verletzten K. und der Beklagten ergangen war, auf die Klägerin.
Rz. 4...