Rz. 467
Zitat
SGB VII § 108
Die für die Bindungswirkung nach § 108 SGB VII erforderliche Beteiligung des betroffenen Dritten setzt voraus, dass dieser in Kenntnis des Verfahrens und dessen Auswirkungen auf seine eigene rechtliche Position darüber entscheiden kann, ob er an dem sozialrechtlichen Verfahren teilnehmen will oder nicht.
a) Der Fall
Rz. 468
Der Kläger verlangte von den Beklagten materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls, der sich am 6.4.2001 ereignete.
Rz. 469
Der Kläger, Geschäftsführer der N.B. GmbH, kontrollierte am Unfalltag auf einer Brücke der BAB 45 Abbrucharbeiten, die die N.B. GmbH im Auftrag der "A." durchführte. Dort waren auch die Mitarbeiter der Beklagten zu 2 mit Stemmarbeiten beschäftigt. Der Beklagte zu 1 (künftig: Beklagter), der zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2 beschäftigt war, bediente den nicht mit einem Warnsignal für den Rückwärtsbetrieb ausgerüsteten Bagger der Beklagten zu 2. Beim Rückwärtsfahren überrollte er den rechten Fuß des Klägers, der mit dem Rücken zu dem Fahrzeug stand. Der Kläger zog sich dabei schwere knöcherne Verletzungen am Fuß und Unterschenkel zu und ist seit dem Unfall nicht mehr berufstätig.
Rz. 470
Die Bau-Berufsgenossenschaft R. und W. lehnte mit Bescheid v. 22.12.2004 den Antrag des Klägers auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Ein Versicherungsfall liege nicht vor, weil der Kläger als Unternehmer bzw. unternehmerähnliche Person eine freiwillige Versicherung nicht abgeschlossen habe. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid v. 1.3.2005 zurückgewiesen.
Rz. 471
Das Verfahren gegen die Beklagte zu 2 ist wegen Insolvenz in der ersten Instanz unterbrochen worden. Das LG hat den Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 EUR sowie von materiellem Schadensersatz in Höhe von 125 EUR verurteilt. Es hat die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden festgestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 472
Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass sich der Beklagte nicht auf den Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII berufen könne. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII komme nur für "Versicherte" zur Anwendung. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil der Kläger selbstständiger Unternehmer und auch nicht freiwillig versichert sei. Zur Klärung der strittigen Rechtsfrage, ob bei Schädigung eines nicht versicherten Unternehmers, der vorübergehend auf einer gemeinsamen Betriebsstätte mit Versicherten eines anderen Unternehmens betriebliche Tätigkeiten verrichtet, infolge der Verweisung auf § 105 SGB VII in § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII die Haftungsprivilegierung über § 105 Abs. 2 SGB VII zugunsten des versicherten Schädigers zum Tragen komme, hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.
Rz. 473
Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Berufungsurteil hatte keinen Bestand, weil das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hatte, ob die Entscheidung der Bau-Berufsgenossenschaft R. und W., dass ein Versicherungsfall nicht vorliege, auch gegenüber dem Beklagten bindend geworden ist (§ 108 SGB VII). Darauf kommt es jedoch für die Verneinung einer Haftungsprivilegierung nach den §§ 105, 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII für den Beklagten an. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann von einer auch gegenüber dem Beklagten bindenden Entscheidung der Berufsgenossenschaft R. und W. nicht ausgegangen werden.
Rz. 474
Die Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII ist auf die Entscheidungen darüber beschränkt, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind, und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. § 108 Abs. 1 SGB VII verfolgt das Ziel, durch die Bindung von Gerichten außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und Sozialgerichte divergierende Beurteilungen zu vermeiden und damit eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten. Diese Bindung hat das Zivilgericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Sie setzt der eigenen Sachprüfung – auch des Revisionsgerichts – Grenzen. Das Zivilgericht ist an die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers bzw. des Sozialgerichts gebunden und zwar unabhängig davon, ob es die von dem Sozialversicherungsträger getroffene Entscheidung inhaltlich für richtig hält. Da das Zivilgericht die Bindung von Amts wegen zu berücksichtigen hat, sind Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Bindungswirkung eingetreten ist, zwingend erforderlich. Der Eintritt der Bindungswirkung nach § 108 Abs. 1 SGB VII hängt davon ab, dass die Entscheidung für die Betroffenen unanfechtbar ist. Dies ist ...