Rz. 95
Das Berufungsgericht war der Ansicht, die Beklagte zu 2 hafte lediglich im Umfang eines in einem Schreiben abgegebenen Anerkenntnisses, 25 % des Schadens zu übernehmen. Darüber hinaus stehe der Klägerin kein Anspruch auf Haftungsausgleich gemäß § 426 BGB gegenüber den Beklagten zu, weil es sich bei der Fahrt von der Baustelle zum Firmensitz des Arbeitgebers um einen Arbeitsunfall auf einem Betriebsweg gehandelt habe und demzufolge die Haftung des Beklagten zu 1 gegenüber dem Geschädigten nach § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei. Deshalb hafte auch die Beklagte zu 2 nicht nach § 3 PflVG.
Rz. 96
Daran ändere auch Art. 93 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nichts. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 2.6.1994 (EuGH, Rs. C-428/92, Slg. 1994, I-2259 = JZ 1994, 1113) ändere Art. 93 Abs. 1 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nicht die Vorschriften, nach denen die außervertragliche Haftung des schadensverursachenden Dritten eintrete. Diese unterliege dem Recht desjenigen (Mitglieds-)Staates, in dessen Gebiet der Schaden entstanden sei. Das sei die Bundesrepublik Deutschland, nach deren Recht, hier nach § 105 Abs. 1 SGB VII, der Beklagte zu 1 nicht hafte.
Rz. 97
Das Berufungsurteil hielt einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 98
Die Revision rügte mit Erfolg, das Berufungsgericht habe aufgrund unzureichender Sachverhaltsaufklärung und irriger Rechtsauffassung die Haftungsprivilegierung des Beklagten zu 1 bejaht und deshalb einen Ausgleichsanspruch, der über die von der Beklagten zu 2 anerkannte Haftung von 25 % hinausgehe, zu Unrecht verneint.
Rz. 99
Bei Berücksichtigung des Klägervortrags war fraglich, ob die Voraussetzungen einer Haftungsprivilegierung für den Beklagten zu 1 gegeben waren. Das setzt die Anwendbarkeit deutschen Rechts voraus. Diese wurde vom Berufungsgericht bejaht, weil sich der Unfall auf der Fahrt zum inländischen Firmensitz des gemeinsamen Arbeitgebers des Beklagten zu 1 und des Geschädigten ereignet habe. Indessen hatte die Klägerin – wie die Revision zutreffend geltend machte – in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, der österreichische Dienstgeber des Geschädigten habe Beiträge an den österreichischen Unfallversicherungsträger abgeführt. Das Berufungsgericht hätte gemäß § 286 ZPO diesen Vortrag berücksichtigen müssen.
Rz. 100
Zwar hatte keine der Parteien bisher für ihren Vortrag Beweis angeboten. Doch konnte sich das Fehlen eines Beweisangebots seitens der Klägerin nicht zu deren Lasten auswirken. Für die Voraussetzungen einer Haftungsfreistellung nach den §§ 104 ff. SGB VII tragen die Beklagten nach allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen die Beweislast, weil es sich hierbei um eine für sie günstige Einwendung gegen den von der Klägerin geltend gemachten Haftungsanspruch handelt (vgl. BGHZ 151, 198, 204). Für das Revisionsverfahren war deshalb insoweit vom Vortrag der Klägerin auszugehen.
Rz. 101
Danach kam für die Frage der Haftungsfreistellung des Beklagten zu 1 die Anwendung des österreichischen Sozialrechts gemäß Art. 93 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Nr. 1a) der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften v. 14.6.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWG-VO 1408/71), in Betracht.
Rz. 102
Im Hinblick auf die österreichische Staatsangehörigkeit des Geschädigten ist aufgrund der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Gemeinschaft seit dem 1.1.1995 (BGBl II. 1994, 2022, 2029 f.; 1996, 1486) die EWG-VO 1408/71 als überstaatliche, europarechtliche Kollisionsnorm zu beachten. Diese Verordnung ist gemäß Art. 249 Abs. 2 des Vertrages der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar anzuwendendes Recht (vgl. zu Art. 52 Abs. 1 der Verordnung Nr. 3 des Rates der EWG über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer: EuGH, Urt. v. 11.3.1965 – 31/64 – Slg. 1965, 112) und genießt als solches Vorrang vor den nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten.
Rz. 103
Für den Streitfall waren die Art. 2, 4, 13, 14 und 93 EWG-VO 1408/71 von Bedeutung. Sie bestimmen u.a.:
Zitat
Art. 2 – Persönlicher Geltungsbereich –
(1) Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbstständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene. …
Art. 4 – Sachlicher Geltungsbereich –
(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:
…
e) Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, …
Art. 13 – Allgemeine Regelung –
(1) Vorbehaltlich der Art. 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach ...