Rz. 547
Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Entgegen der Auffassung der Revision war der Senat an einer Sachentscheidung allerdings nicht bereits deshalb gehindert, weil das Berufungsgericht die Berufungsanträge nicht wiedergegeben hat. Ohne die Wiedergabe der Anträge leidet das Berufungsurteil zwar regelmäßig an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (vgl. Senatsurteile vom 21.6.2016 – VI ZR 403/14, VersR 2016, 1194 Rn 7; v. 21.2.2017 – VI ZR 22/16, juris Rn 10, jeweils m.w.N.). Die ausdrückliche Wiedergabe der Anträge ist jedoch entbehrlich, wenn sich dem Gesamtzusammenhang der Gründe das Begehren des Berufungsführers noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt (BGH, Urt. v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, WM 2014, 217 Rn 18 m.w.N.).
Rz. 548
Diese Voraussetzung war vorliegend erfüllt. Das Berufungsgericht hatte unter Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ausgeführt, dass die Klägerin die Erstattung der von ihr geleisteten Lohnfortzahlung begehre, das Amtsgericht die Klage abgewiesen habe und die Berufung sich hiergegen richte. Diesen Ausführungen war hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin mit der Berufung ihr erstinstanzliches Klagebegehren uneingeschränkt weiterverfolgte. Dass das Berufungsgericht den als Nebenforderung geltend gemachten Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten nicht gesondert erwähnt hatte, war dabei unschädlich. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Nebenforderung hätte es nur dann bedurft, wenn die Klägerin sie fallengelassen oder ihren Antrag in sonstiger Weise geändert hätte.
Rz. 549
Das angefochtene Urteil unterlag aber deshalb der Aufhebung, weil das Berufungsgericht die Bestimmung des § 108 SGB VII nicht beachtet hatte. Es hatte die Tatbestandsvoraussetzungen der in § 106 Abs. 3 Alt. 3 i.V.m. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII geregelten Haftungsprivilegierung für gegeben erachtet, ohne den, den Unfallversicherungsträgern bzw. Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zukommenden Vorrang hinsichtlich der Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Vorfragen zu beachten.
Rz. 550
Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche unter anderem hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.
Rz. 551
Die Vorschrift verfolgt das Ziel, divergierende Beurteilungen zu vermeiden und eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten. Für den Geschädigten untragbare Ergebnisse, die sich ergeben könnten, wenn zwischen den Zivilgerichten und den Unfallversicherungsträgern bzw. Sozialgerichten unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen eines Versicherungsfalles bestehen und dem Geschädigten deshalb weder Schadensersatz noch eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuerkannt wird, sollen verhindert werden. Aus diesem Grund räumt § 108 SGB VII den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten ein. Diesen Vorrang haben die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setzt der eigenen Sachprüfung – auch des Revisionsgerichts – Grenzen.
Rz. 552
Der den Unfallversicherungsträgern bzw. Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in § 108 SGB VII eingeräumte Vorrang bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung, ob ein Unfall – wie in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vorausgesetzt – als Versicherungsfall zu qualifizieren ist, sondern erstreckt sich auch auf die Beurteilung der Frage, ob der Geschädigte – wie in § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gefordert – im Unfallzeitpunkt Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war. Denn die Versicherteneigenschaft ist eine notwendige Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) und damit als Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Eine eigenständige Beurteilung dieser Fragen ist den Zivilgerichten dementsprechend grundsätzlich verwehrt. Da sie die vorrangige Entscheidungs-zuständigkeit der Unfallversicherungsträger bzw. der Sozialgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen haben, sind Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Bindungswirkung gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII eingetreten ist, zwingend erforderlich.
Rz. 553
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Voraussetzungen einer sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung in der Person des in Anspruch genommenen Schädigers aus der...