Rz. 270
Zitat
BGB § 823; SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
a) |
Der mit der Bauleitung beauftragte Architekt kann wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten haften. |
b) |
Zwischen dem mit der Bauleitung beauftragten Architekten und einem Bauhandwerker besteht regelmäßig keine gemeinsame Betriebsstätte. |
a) Der Fall
Rz. 271
Die Klägerin machte als Berufsgenossenschaft wegen eines Unfalls ihres Mitglieds L. gegen den Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagten) als Insolvenzverwalter der Firma A. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) Schadensersatzansprüche nach § 116 SGB X geltend.
Rz. 272
Am 9.9.1999 führte die Firma H. GmbH auf einer Baustelle Verschalungsarbeiten auf dem Dach des Gebäudeteils "Tonne 4" aus. Am Ende des Arbeitstags wurde eine Teilfläche von ca. 2,5 m2 nicht verschlossen, weil die erforderlichen Schalungsbretter fehlten. Die Stelle wurde mit Dachpappe abgedeckt. Warnhinweise oder Sicherungen wurden nicht angebracht.
Rz. 273
Am nächsten Tag nahm die Firma Z. als Subunternehmerin der Firma D. GmbH Abriss- und Entkernungsarbeiten an der benachbarten Dachfläche des Hauses Nr. 3 auf. Ihr Mitarbeiter L. ging gegen 13.30 Uhr über die nicht verschlossene Dachfläche, um Material zu holen. Dabei stürzte er durch die Dachpappe etwa 4,45 m hinab und erlitt schwere Verletzungen.
Rz. 274
Der Insolvenzschuldnerin war als Architektin die Bauleitung mit den gesamten Grundleistungen für das Leistungsbild 8 der HOAI, also Objektüberwachung und Bauüberwachung, übertragen. Sie hatte zum Zeitpunkt des Unfalls die Zeugin S. als Bauleiterin eingesetzt. Diese war von einem Mitarbeiter der H. GmbH am Vortage des Unfalls darüber informiert worden, dass auf dem Dach eine Lücke bleiben werde. Frau S. hatte daraufhin eine Frist zur Fertigstellung der Schalungsarbeiten bis zum 10.9.1999 gesetzt. Vorher hatte sie der D. GmbH am 8.9.1999 mitgeteilt, dass die Abbrucharbeiten am Haus 3 ab dem 8. September beginnen könnten.
Rz. 275
Das LG hat die frühere Beklagte zu 2 als Haftpflichtversicherer der Insolvenzschuldnerin aus dem zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Teilungsabkommen verurteilt und die Klage gegen den Beklagten abgewiesen. Das OLG hat auch dem Zahlungs- und Feststellungsantrag gegen den Beklagten stattgegeben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 276
Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 277
Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine Haftung der Insolvenzschuldnerin bestehe, war nicht zu beanstanden.
Rz. 278
Der BGH hat wiederholt entschieden, dass eine Haftung des mit der örtlichen Bauaufsicht bzw. Bauleitung beauftragten Architekten wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (§ 823 Abs. 1 BGB) in Betracht kommt. Mit der Übernahme einer solchen Aufgabe trifft auch den Architekten die Pflicht, nicht nur seinen Auftraggeber, sondern auch Dritte vor Schäden zu bewahren, die im Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks entstehen können. Im Regelfall braucht der Architekt zwar nur diejenigen Verkehrssicherungspflichten zu beachten, die dem Bauherrn als dem mittelbaren Veranlasser der aus der Bauausführung fließenden Gefahren obliegen. In erster Linie ist der Unternehmer verkehrssicherungspflichtig. Er hat für die Sicherheit der Baustelle zu sorgen; Unfallverhütungsvorschriften wenden sich nur an ihn. Selbst verkehrssicherungspflichtig wird der mit der örtlichen Bauaufsicht bzw. Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragte Architekt aber, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahrenquellen erkannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. Er muss auf Gefahren achten und darf seine Augen nicht verschließen, um auf diese Weise jeglichem Haftungsrisiko aus dem Wege zu gehen. Neben dieser so genannten "sekundären" Verkehrssicherungspflicht, die sich grundsätzlich darauf beschränkt, erkannte oder erkennbare baustellentypische Gefahrenstellen zu beseitigen, treffen den bauleitenden Architekten "primäre" Verkehrssicherungspflichten, wenn er selbst Maßnahmen an der Baustelle veranlasst, die sich als Gefahrenquelle erweisen können, sei es, dass die Auftragserteilung schon unmittelbar Gefahren für andere begründen kann oder dass solche Gefahren nicht von vornherein ausgeschlossen sind.
Rz. 279
Nach diesen Grundsätzen konnte das Berufungsgericht aufgrund der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung des Einzelfalls ohne Rechtsfehler annehmen, dass die von der Insolvenzschuldnerin eingesetzte Bauleiterin eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte. Diese wusste seit dem Tag vor dem Unfall, dass die Firma H. GmbH das Dach der "Tonne 4" nicht vollständig verschalen konnte und somit ein Loch in der Decke verblieben war. Zudem musste sie nach ihrem eigenen Telefaxschreiben an die D. GmbH da...