Rz. 376
Zitat
SGB VII § 106 Abs. 3 Fall 3
Der Mitarbeiter eines Baumarkts, der gekaufte Ware mit einem Gabelstapler aus dem Lager in den Bereich der Ladezone transportiert und dort zur Verladung durch den Käufer bereit stellt, verrichtet seine Tätigkeit nicht notwendigerweise auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" mit dem Arbeitnehmer des Käufers, der die Ware mit einem Transportfahrzeug abholen soll.
a) Der Fall
Rz. 377
Der Unfall war von dem Unfallversicherer als Arbeitsunfall des Klägers anerkannt. Die Parteien stritten darum, ob die zivilrechtliche Haftung für den Personenschaden ausgeschlossen war, weil es sich um einen Unfall auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" gehandelt hat (§ 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII). Der Kläger hatte in diesem Zusammenhang behauptet, der Beklagte sei nach dem Abstellen des Gabelstaplers zurück ins Lager gegangen; der Beklagte hatte geltend gemacht, er habe dem Kläger beim Einladen der Zementsäcke helfen wollen, jedoch habe sich der Gabelstapler sofort nach dem Aussteigen in Bewegung gesetzt.
Rz. 378
Der Kläger hat wegen der erlittenen Unfallverletzungen die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangt. Erstinstanzlich hat er im Wege der offenen Teilklage einen Teilbetrag von 900 EUR geltend gemacht. Das LG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz die Klage erweitert und beantragt, den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt nicht unter 3.000 EUR zu verurteilen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und ihn auf die Anschlussberufung – unter deren teilweiser Zurückweisung – verurteilt, ein Schmerzensgeld von 2.500 EUR zu zahlen. Dagegen richtete sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 379
Die Revision des Beklagten war unbegründet.
Ohne Erfolg beanstandete die Revision, dass das Berufungsgericht die Klageerweiterung im Berufungsverfahren für zulässig gehalten hatte. Es entspricht der Rechtsprechung des BGH, dass eine Klage im Wege der Anschlussberufung erweitert werden kann, auch wenn der Anschlussberufungskläger durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert ist (BGH, Urt. v. 17.12.1951 – GSZ 2/51, BGHZ 4, 229, 234; v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944, 945).
Rz. 380
Unbegründet war die Revision auch, soweit sie sich dagegen wandte, dass das Berufungsgericht einen Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII verneint hatte, weil die Parteien nicht auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" tätig gewesen seien.
Rz. 381
Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats erfasst der Begriff der "gemeinsamen Betriebsstätte" betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein.
Rz. 382
§ 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinandertreffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt.
Rz. 383
Nach diesen Grundsätzen war die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Unfallzeitpunkt habe keine "gemeinsame Betriebsstätte" vorgelegen, rechtsfehlerfrei.
Rz. 384
Allerdings konnte dies entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht damit begründet werden, dass zwischen den Arbeitgebern der Parteien lediglich ein Kaufvertrag geschlossen worden sei und die bei dessen Erfüllung erbrachte Ladehilfe des Verkäufers keine "gemeinsame Betriebsstätte" begründen könne. Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer der verschiedenen Unternehmen geführt haben, spielen für die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine Rolle. Der Haftungsausschluss knüpft alleine an die oben dargestellten Merkmale an und ist (alleine) im Hinblick auf die zwischen den Arbeitnehmern bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (vgl. dazu Senatsurt. v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, a.a.O. S. 218 m.w.N.).
Rz. ...