Rz. 116
Das Berufungsgericht verneinte die Aktivlegitimation der Klägerinnen. Es könne offen bleiben, ob Schadensersatzansprüche des Geschädigten P. gegen die Beklagten entstanden seien, jedenfalls seien etwaige Ansprüche wegen der Haftungsprivilegierung gemäß §§ 105 Abs. 1 S. 3, 104 Abs. 1 S. 2 SGB VII nicht nach § 116 SGB X auf die Klägerinnen übergegangen. Es handle sich um einen Arbeitsunfall auf einem Betriebsweg i.S.v. §§ 105 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 1 SGB VII und nicht um einen Unfall nach § 8 Abs. 2 SGB VII. Die gemeinsamen Wochenendheimfahrten seien Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs, weil das Fahrzeug den Arbeitskollegen von ihrem Arbeitgeber dauerhaft dafür zur Verfügung gestellt worden sei.
Rz. 117
Das Berufungsurteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht durfte Ansprüche der Klägerinnen nicht schon deshalb verneinen, weil der Beklagte zu 1 nach den Vorschriften der §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert sei. Ob sozialversicherungsrechtliche Haftungsfreistellungen zugunsten von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern eingreifen, beurteilte sich im Streitfall nach niederländischem Recht.
Rz. 118
Das Berufungsgericht hatte seine Pflicht nach § 293 ZPO verletzt, zur Vorbereitung seiner Entscheidung das einschlägige niederländische Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BGH, BGHZ 118, 151, 162 ff.; Urt. v. 25.1.2005 – XI ZR 78/04, NJW-RR 2005, 1071, 1072; Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., § 293 Rn 14 ff.).
Rz. 119
Kommt bei der Beurteilung eines Sachverhalts die Anwendung ausländischen Rechts in Betracht, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob das deutsche internationale Privatrecht die Anwendung des deutschen oder des ausländischen Rechts vorschreibt. Die Regelungen des internationalen Privatrechts, wozu auch die einschlägigen Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts sowie die von Deutschland ratifizierten kollisionsrechtlichen Staatsverträge gehören, beanspruchen allgemeine Verbindlichkeit, ohne dass es darauf ankäme, ob sich eine der Parteien auf die Anwendung ausländischen Rechts beruft. Die richtige Anwendung des deutschen internationalen Privatrechts ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGHZ 136, 380, 386 m.w.N.).
Rz. 120
Gegen diese Vorgaben hatte das Berufungsgericht verstoßen, indem es die Anwendbarkeit der §§ 104 ff. SGB VII damit begründete, die Klägerinnen hätten jeglichen Auslandsbezug des Streitfalls verneint und müssten sich daran auch im Hinblick auf die Anwendung der §§ 104 ff. SGB VII festhalten lassen. Da der Beklagte zu 1 und der Geschädigte P. bei demselben Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigt waren und der Unfall sich auf der Fahrt vom Arbeitsort in den Niederlanden zum inländischen Wohnort ereignet hatte, musste sich dem Berufungsgericht die Frage der Anwendung niederländischen Sozialversicherungsrechts aufdrängen. Hingegen konnte der Vortrag der Klägerinnen, der Fall sei nach deutschem Recht zu beurteilen, das Berufungsgericht seiner Pflicht zur Prüfung des anzuwendenden Rechts nicht entheben, zumal die Klägerinnen in der Sache stets vorgetragen hatten, dass im Streitfall die Haftungsbeschränkungen des deutschen Unfallversicherungsrechts nicht anwendbar seien.
Rz. 121
Die Vorschriften des deutschen Rechts über Haftungsfreistellungen für Arbeitgeber und von ihnen beschäftigte Arbeitnehmer waren nach den tatsächlichen Umständen im Streitfall nicht anwendbar. Vielmehr war gemäß Art. 93 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften vom 14.6.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, niederländisches Sozialrecht maßgebend.
Rz. 122
Gemäß Art. 249 Abs. 2 EGV ist die EWG-VO 1408/71 unmittelbar anzuwendendes Recht und genießt Vorrang vor den entsprechenden nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten (Senatsurt. v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, VersR 2007, 64, 65 m.w.N.). Nach Art. 93 Abs. 2 EWG-VO 1408/71 sind die sozialrechtlichen Vorschriften zur Haftungsfreistellung von Arbeitgebern und den von ihnen beschäftigten Arbeitnehmern bei Arbeitsunfällen dem Sozialversicherungsrecht zu entnehmen, das auf den Geschädigten anzuwenden ist. Nach gefestigter Rechtsmeinung sind sozialrechtliche Haftungsprivilegien nicht dem materiellen Deliktsrecht zuzuordnen, welches die EWG-VO 1408/71 unberührt lässt, sondern dem Recht der Systeme der sozialen Sicherheit (Senatsurt. v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, a.a.O., S. 66 m.w.N.). Für die Frage der Haftungsbefreiung bei Arbeitsunfällen gelten nach Art. 93 Abs. 2 EWG-VO 1408/71 die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, nach denen für den Arbeitsunfall Leistungen zu erbringen sind, dessen Sozialversicherungsträger die Unfallfürsorge also zu gewähren haben; diese Rechtsvorschriften gelten auch dann, wenn das zivilrechtliche Haftungsrecht und das Sozialversicherungsrecht für Arbeitsunfälle dem Recht verschiedener Mitgl...