Rz. 379
Die Revision des Beklagten war unbegründet.
Ohne Erfolg beanstandete die Revision, dass das Berufungsgericht die Klageerweiterung im Berufungsverfahren für zulässig gehalten hatte. Es entspricht der Rechtsprechung des BGH, dass eine Klage im Wege der Anschlussberufung erweitert werden kann, auch wenn der Anschlussberufungskläger durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert ist (BGH, Urt. v. 17.12.1951 – GSZ 2/51, BGHZ 4, 229, 234; v. 25.11.1993 – IX ZR 51/93, NJW 1994, 944, 945).
Rz. 380
Unbegründet war die Revision auch, soweit sie sich dagegen wandte, dass das Berufungsgericht einen Haftungsausschluss gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII verneint hatte, weil die Parteien nicht auf einer "gemeinsamen Betriebsstätte" tätig gewesen seien.
Rz. 381
Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats erfasst der Begriff der "gemeinsamen Betriebsstätte" betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein.
Rz. 382
§ 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinandertreffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt.
Rz. 383
Nach diesen Grundsätzen war die Beurteilung des Berufungsgerichts, im Unfallzeitpunkt habe keine "gemeinsame Betriebsstätte" vorgelegen, rechtsfehlerfrei.
Rz. 384
Allerdings konnte dies entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht damit begründet werden, dass zwischen den Arbeitgebern der Parteien lediglich ein Kaufvertrag geschlossen worden sei und die bei dessen Erfüllung erbrachte Ladehilfe des Verkäufers keine "gemeinsame Betriebsstätte" begründen könne. Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer der verschiedenen Unternehmen geführt haben, spielen für die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine Rolle. Der Haftungsausschluss knüpft alleine an die oben dargestellten Merkmale an und ist (alleine) im Hinblick auf die zwischen den Arbeitnehmern bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt (vgl. dazu Senatsurt. v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, a.a.O. S. 218 m.w.N.).
Rz. 385
Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden war aber die Annahme des Berufungsgerichts, es habe nicht die für eine "gemeinsame Betriebsstätte" typische Gefahr bestanden, dass sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten "ablaufbedingt in die Quere kommen" (vgl. dazu Senatsurt. v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, a.a.O. S. 217). Es ist zu beachten, dass sich die Beurteilung, ob eine "gemeinsame Betriebsstätte" vorlag, auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen muss (vgl. Senatsurt. v. 1.2.2011 – VI ZR 227/09, a.a.O. Rn 7, 9).
Rz. 386
Im Streitfall war bezogen auf den Unfallzeitpunkt noch kein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen festzustellen, bei dem die Tätigkeit der Mitwirkenden im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet war und sich die Beteiligten bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt in die Quere kommen konnten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte den Gabelstapler mit den zu verladenden Säcken aus dem Lager herangefahren und ca. zwei Meter von dem Kleintransporter entfernt abgestellt. Dabei handelte es sich lediglich um die Bereitstellung der Ware zur Abholung durch den Kläger. Ein etwaiges auf den Ladevorgang bezogenes Zusammenwirken der Parteien hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen.
Rz. 387
Die von dem Beklagten behauptete Absprache, dem Kläger beim Verladen der Ware zu helfen, hatte sich auf den vorliegenden Unfallverlauf nicht ausgewirkt. Dass bereits das Heranfahren der Ware und das Abstellen des Gabelstaplers auf einer Absprache der Parteien beruht hätten, machte die Revision nicht geltend.