Rz. 473
BGH, Urt. v. 20.4.2004 – VI ZR 189/03, BGHZ 158, 394 = VersR 2004, 931
Zitat
BGB § 823; SGB VII §§ 2, 108; SGB X § 12
a) |
Ein Zivilrechtsstreit ist nach § 108 Abs. 2 SGB VII von Amts wegen auszusetzen, wenn entscheidungserheblich ist, ob der Geschädigte zu den nach § 2 SGB VII versicherten Personen gehört. |
b) |
Zur Beteiligung am sozialversicherungsrechtlichen Verfahren nach § 12 Abs. 2 SGB X. |
1. Der Fall
Rz. 474
Die Klägerin verlangte von der Beklagten Ersatz für ihren immateriellen und materiellen Schaden aus einem Reitunfall vom 11.6.2001. Sie hatte auf Bitten der Beklagten eines von deren Pferden im Gelände geritten und war hierbei gestürzt, wobei sie eine Luxationsfraktur des 3. und 4. Halswirbelkörpers erlitt.
Rz. 475
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist durch das angefochtene Urt. v. 30.4.2003 zurückgewiesen worden, weil eine Haftung der Beklagten nach § 104 SGB VII ausgeschlossen sei. Mit Bescheid vom 23.9.2003 wies auch die Bayerische Landesunfallkasse Ansprüche der Klägerin zurück, weil kein Arbeitsunfall vorgelegen habe. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Bayerischen Landesunfallkasse vom 1.12.2003 zurückgewiesen. Hiergegen hatte die Klägerin Klage beim Sozialgericht erhoben. Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
2. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 476
Nach Auffassung des Berufungsgerichts schied eine Tierhalterhaftung nach §§ 833, 847 a.F. BGB aufgrund der Haftungsbefreiung nach § 104 SGB VII aus. Die Klägerin sei für die Beklagte wie eine Versicherte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII tätig gewesen, da sie eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt habe. Die Handlungstendenz der Klägerin sei in erster Linie dahin gegangen, den Zwecken der Beklagten zu dienen. Bei der von ihr für die Beklagte am Unfalltag übernommenen Tätigkeit handele es sich um eine typische von der Halterin des Pferdes zu erfüllende Aufgabe. Eine solche werde auf dem Arbeitsmarkt auch von Reitbetrieben bzw. durch von Pferdehaltern beschäftigte Pferdepfleger mit entsprechendem Aufgabenbereich und Bereitern im Interesse der Halter der Tiere ausgeübt. Das Ausreiten könne deshalb nach den Umständen am Unfalltag nicht lediglich einer reitsportlichen Betätigung im Rahmen einer gegenseitigen reitsportlichen Gefälligkeit zugeordnet werden. Maßgebend sei das Interesse der Beklagten als Halterin eines Pferdes gewesen, diesem die notwendige Bewegung zu verschaffen.
Rz. 477
Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Revision rügte mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Vorschrift des § 108 SGB VII nicht beachtet hatte. Nach dieser Vorschrift sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche u.a. hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.
Rz. 478
Die Vorschrift verfolgt das Ziel, durch eine Bindung von Gerichten außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit an Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und Sozialgerichte divergierende Beurteilungen zu vermeiden und damit eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten. Deshalb steht die Aussetzung nicht im Ermessen des Gerichts.
Rz. 479
Bereits zu der früheren Gesetzeslage, die insoweit keine ausdrückliche Anordnung enthielt, hatte der BGH im Hinblick auf den Zweck und die Gesetzesgeschichte der §§ 637 ff. RVO ein gebundenes Ermessen angenommen, das dem Richter die Aussetzung nach § 148 ZPO bis zum Vorliegen einer endgültigen Entscheidung der Sozialbehörden oder -gerichte zur Pflicht machte (vgl. BGHZ 129, 195, 202 f.). Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des BGH bindende Entscheidungen über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Verfahren der gesetzlichen Unfallversicherung oder der Sozialgerichtsbarkeit auch zu berücksichtigen, wenn sie – wie hier – erst nach Einlegung der Revision ergehen. Eine solche Entscheidung bindet die Zivilgerichte, um in dieser Frage den Vorrang jener fremden Verfahrenszuständigkeiten vor der Zivilgerichtsbarkeit sicherzustellen; damit betrifft sie die Grenzen der Sachprüfung auch für das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 19.10.1993 – VI ZR 158/93, VersR 1993, 1540, 1541 und v. 24.6.1980 – VI ZR 106/79, VersR 1980, 822).
Rz. 480
Diesen Erfordernissen trägt nunmehr § 108 SGB VII ausdrücklich Rechnung. Wird diese Vorschrift nicht beachtet, kann dies zu Ergebnissen führen, die das Vertrauen in die Rechtsprechung erschüttern, wenn – wie hier – zwischen dem Zi...