Rz. 253
BGH, Urt. v. 14.9.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604 = NJW 2005, 288
Zitat
SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
a) |
§ 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII erfordert eine Verbindung zwischen den Tätigkeitendes Schädigers und des Geschädigten in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt. |
b) |
Das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 SGB VII kommt einem Unternehmer nur dann zugute, wenn er "Versicherter" im Sinne der Bestimmung und selbst tätig geworden ist (vgl. Senatsurt. BGHZ 148, 209; 148, 214, 219 f.; v. 25.6.2002 – VI ZR 279/01, VersR 2002, 1107; v. 29.10.2002 – VI ZR 283/01, VersR 2003, 70, 71 und v. 16.12.2003 – VI ZR 103/03, VersR 2004, 381, 382). |
1. Der Fall
Rz. 254
Die Klägerin war als Auszubildende zur Pferdewirtin von ihrem Arbeitgeber zur Betreuung von dessen Pferden bei einer von dem Beklagten zu 2 auf dem Gelände eins Reitvereins veranstalteten Hengstkörung eingesetzt. Als sie vor dem Eingangstor der Reithalle dem Hengst ihres Arbeitgebers nach Beendigung der Präsentation eine Decke auflegte, wurde sie von einem vorbeigeführten Pferd an den Kopf getreten und dadurch schwer verletzt.
Rz. 255
Sie trug vor, sie sei von dem Hengst des Beklagten zu 1 getreten worden, als jener das Tier ihres Arbeitgebers passiert habe. Sie meinte, der Beklagte zu 1 habe beim Vorbeiführen nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten und hafte auch als Tierhalter. Der Beklagte zu 2 habe die ihm als Veranstalter obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Rz. 256
Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Verurteilung der beiden Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 80.618 DM nebst Zinsen, eines angemessenen Schmerzensgeldes nicht unter 500.000 DM sowie die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr jeden weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen seien.
Rz. 257
Das LG erklärte die Klage dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin zu 4/5 für gerechtfertigt. Auf die Berufungen der Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage ab. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Ziel einer Zurückweisung der Berufungen der Beklagten weiter. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
2. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 258
Soweit das Berufungsgericht meinte, die Schädigung der Klägerin sei auf einer für die Klägerin und den Beklagten zu 1 gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII erfolgt, trugen seine Feststellungen diese Beurteilung nicht.
Rz. 259
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung erfasst der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt.
Rz. 260
Von dieser Definition der gemeinsamen Betriebsstätte ging im Ansatz auch das Berufungsgericht aus. Es missverstand jedoch die Bedeutung der vom BGH in seinem Urt. v. 17.10.2000 herausgestellten Begriffsmerkmale. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn zwei Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt deshalb den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten des Schädigers und des Geschädigten in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Betriebsstätte rechtfertigt (vgl. BGH, Urt. v. 23.1.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373). Das ist nur bei solchen betrieblichen Aktivitäten anzunehmen, die im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen oder miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sind (vgl. BGHZ 145, 331, 336 und BGH, Urt. v. 8.4.2003 – VI ZR 251/02, VersR 2003, 904). Dem angegriffenen Urteil waren keine Feststellungen zu entnehmen, die über die Annahme "derselben Betriebsstätte" für den Beklagten zu 1 und die Klägerin hinausgehen.
Rz. 261
Zweifelhaft ist im vorliegenden Fall bereits, ob die Aktivitäten des Beklagten zu 1 und des Arbeitsgebers der Klägerin bei der Körveranstaltung allgemein so miteinander verknüpft und aufeinander abgestimmt waren, dass sie über ein örtliches und zeitliches Zusammentreffen hinausgingen.
Rz. 262
Richtig mag sein, dass eine Körveranstaltung nur bei gleichzeitiger Anwesenheit zahlreicher, von den Züchtern zur Körung vorgestellter Tiere pub...