Rz. 37
BGH, Urt. v. 10.5.2005 – VI ZR 366/03, VersR 2005, 1087
Zitat
BGB §§ 831, 823, 840 Abs. 1, 2; PflVG § 3 Nr. 1 und 8; SGB VII § 106 Abs. 3 Alt. 3
Eine Haftungsfreistellung des nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmers wegen Störung des Gesamtschuldverhältnisses mit einem nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen setzt voraus, dass der Verrichtungsgehilfe nachweislich schuldhaft gehandelt hat (Fortführung des Senatsurteils BGHZ 157, 9 ff.).
1. Der Fall
Rz. 38
Der Kläger nahm den Beklagten zu 2 als Haftpflichtversicherer des an einem Unfall beteiligten Lkw auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden in Anspruch.
Rz. 39
Der Kläger und der Beklagte zu 1 waren als Lkw-Fahrer für verschiedene Arbeitgeber tätig, für die sie am 10.5.1999 Asphalt zur Erneuerung des Straßenbelags einer Brücke transportierten. Die Brücke führt über die Gleise der Deutschen Bahn. Die elektrischen Oberleitungen für die Züge sind im Luftraum über der Brücke verspannt. Um den Asphalt ordnungsgemäß auf der Fahrbahn verteilen zu können, musste der den Asphalt liefernde Lkw mit dem Ladegut rückwärts an die Asphaltiermaschine herangefahren werden. Die Asphaltiermaschine, die über eine eigene Lenkeinrichtung gesteuert wurde, schob sodann den Lkw vor sich her, der durch Anheben der Kippmulde die Maschine mit frischem Asphalt versorgte.
Rz. 40
Zum Unfallzeitpunkt ließ sich der Beklagte zu 1 in entsprechender Weise mit dem bei dem Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Lkw, dessen Halter der Arbeitgeber des Beklagten zu 1 war, schieben. Der Kläger hatte den von ihm geführten Lkw abgestellt und wartete auf die Beendigung des Arbeitsvorgangs, um den von ihm angelieferten Asphalt abladen zu können. Als der Kläger die geöffnete Beifahrertür des von dem Beklagten zu 1 gesteuerten Lkw anfasste, um sich zu erkundigen, wie lange der Entladevorgang noch dauere, erlitt er auf nicht geklärte Weise einen Stromschlag. Er wurde dadurch schwer verletzt. Die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen hat den Unfall des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt.
Rz. 41
Der Kläger meinte, der Beklagte zu 1 habe den Unfall fahrlässig herbeigeführt. Der Arbeitgeber und Halter des Fahrzeugs – der Inhaber der Spedition L. – hafte für den Beklagten zu 1 aus vermutetem Auswahl- oder Überwachungsverschulden, weshalb der entsprechende Direktanspruch auch gegen den Beklagten zu 2 gegeben sei.
Rz. 42
Das LG hat die Ersatzpflicht des Beklagten zu 2 für die materiellen Schäden aufgrund der Haftung für die Betriebsgefahr des Lkw festgestellt. Es hat im Übrigen die Klage abgewiesen, weil der Beklagte zu 1 gemäß § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII von der Haftung für das streitgegenständliche Unfallgeschehen freigestellt sei. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und der Anschlussberufung des Beklagten zu 2 diesen zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 EUR verurteilt und festgestellt, dass er verpflichtet sei, dem Kläger neben den materiellen Schäden auch künftige immaterielle Schäden zu ersetzen. Der erkennende Senat hat die nur vom Beklagten zu 2 eingelegte Revision zugelassen, soweit dieser verurteilt worden ist, an den Kläger Schmerzensgeld zu zahlen und seine Ersatzpflicht hinsichtlich sämtlicher immaterieller Schäden aus dem Unfall vom 10.5.1999 festgestellt worden ist. Mit der im Umfang dieser Zulassung geführten Revision begehrte der Beklagte zu 2 die Zurückweisung der Berufung des Klägers in vollem Umfang und die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
2. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 43
Das Berufungsgericht hatte hinsichtlich der allein noch im Streit befindlichen Haftung des Beklagten zu 2 auf Ersatz des immateriellen Schadens des Klägers ausgeführt, dass der Schaden durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs verursacht worden sei. Der Beklagte zu 2 hafte als Haftpflichtversicherer des vom Beklagten zu 1 gesteuerten Lkw gemäß § 3 Nr. 1 PflVG allerdings nur, soweit der Arbeitgeber – zugleich der Halter des Lkw – zur Leistung von Schmerzensgeld verpflichtet sei. Diesen treffe nach § 831 Abs. 1 BGB ein Verschulden bei der Auswahl und Überwachung seines Verrichtungsgehilfen, des Beklagten zu 1. Ob dieser die Verletzung schuldhaft verursacht habe, sei für die Haftung nach § 831 Abs. 1 BGB unerheblich. Zwar könne nach dem Schutzzweck des § 831 BGB der Geschäftsherr ausnahmsweise vom Geschädigten trotz rechtswidriger Schadenszufügung durch einen Verrichtungsgehilfen nicht in Anspruch genommen werden, wenn dieser objektiv fehlerfrei gehandelt habe. Hierfür sei der Beweis jedoch nicht erbracht. Es sei Sache des Geschäftsherrn und im Anschluss daran auch des nach § 3 PflVG direkt haftenden Versicherers, den Ausschluss der Widerrechtlichkeit zu beweisen. Auch den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB habe der Beklagte zu 2 nicht geführt.
Rz. 44
Das Urteil hielt den Angriffen der Revision nicht stand. Das Berufungsgericht h...