Rz. 10

Wie eingangs bereits dargelegt, ist zwischen der gerichtlichen Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO und dem Informationsrecht des Betroffenen bzw. der Verteidigung zu unterscheiden, welches aus dem Recht auf ein faires Verfahren resultiert (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Der Betroffene muss der Verfolgungsbehörde auf Augenhöhe begegnen können und die zur Verteidigung erforderlichen Informationen erhalten, selbst wenn sich diese nicht in der Akte befinden. Hierzu kann die Verteidigung entsprechende Beweisanträge und – wie das Verfassungsgericht ausdrücklich festhält – ggf. auch Beweisermittlungsanträge stellen.[19]

 

Rz. 11

Die Bauartzulassung allein ist kein endgültiger und unantastbarerer Garant für die Richtigkeit der Messung. Es besteht nämlich kein Erfahrungssatz, dass die vorliegend behandelten standardisierten Messgeräte unter allen Umständen zuverlässige Messergebnisse liefern.[20] Gleichwohl darf die eingangs dargelegte Funktionstüchtigkeit der Justiz, im konkreten Fall also das jeweilige Gerichtsverfahren, durch ausufernde Beweisanträge nicht unterminiert werden. Das Informationsrecht der Verteidigung ist daher eingeschränkt:

Die begehrten Informationen müssen hinreichend konkret benannt werden.
Sie müssen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zum konkreten Tatvorwurf stehen.
Die Relevanz der Informationen für die Verteidigung muss erkennbar sein.
Die Anträge der Verteidigung müssen ausreichend frühzeitig vor der Hauptverhandlung erfolgen.
 

Rz. 12

Ein standardisiertes Verfahren ist also nicht (mehr) gleichzusetzen mit einem nicht überprüfbaren Messverfahren. Jedoch muss die Verteidigung nach den o.g. Kriterien bereits erstinstanzlich besonders sorgfältig arbeiten:

1. Im Zweifel ist die Messung von einem ausreichend qualifizierten Sachverständigen zu überprüfen. Die jeweils erforderlichen Informationen für eine vollumfängliche Überprüfbarkeit sind im technischen Teil jeweils aufgeführt. Der Sachverständige wird hierzu bei Bedarf weitere Angaben machen. Die Kosten für die gutachtliche Überprüfung werden übrigens in den meisten Fällen vom Rechtsschutzversicherer getragen.
2. Die erforderlichen Informationen sind rechtzeitig, d.h. bereits im Verwaltungsverfahren bei der Bußgeldstelle anzufordern, um sich im anschließenden Gerichtsverfahren nicht dem Vorwurf der unverhältnismäßigen Verfahrensverschleppung auszusetzen.
3. Vorsorglich ist neben dem Auskunftsantrag für den häufigen Fall, dass die Behörde die weiteren Auskünfte verweigert, ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 Abs. 1 OWiG zu stellen.
4.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung.[21] Für den Fall der Nichtabhilfe sollte nach der Überleitung vom Verwaltungsverfahren ins Gerichtsverfahren das zuständige Amtsgericht hierüber in Kenntnis gesetzt werden und beantragt werden, das Verfahren auszusetzen, bis die Behörde die erforderlichen Informationen vorgelegt hat. Die begehrten Informationen sind

(a) möglichst konkret zu benennen und es ist ausführlich darzulegen, inwiefern diese
(b) sachlich und zeitlich in Zusammenhang mit dem Tatvorwurf stehen sowie
(c) inwiefern sie für die Verteidigung relevant sind.

Hierzu empfiehlt sich ein expliziter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach nicht der Prüfungsmaßstab der Behörde und des Gerichts anzulegen ist, sondern die Verteidigung grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen kann.[22]

Ein Antrag ans Amtsgericht, die begehrten Unterlagen selbst beizuziehen, wird hingegen erfolglos bleiben. Das Gericht ist hierzu nicht verpflichtet.[23]

5. Setzt das Amtsgericht nicht aus, müssen die begehrten Informationen in der Hauptverhandlung zwingend nochmals (schriftlich!) wie in Punkt 4 dargelegt und die Aussetzung beantragt werden, bezugnehmend auf den bisherigen Verfahrensgang. Erst dieser Zwischenrechtsbehelf gem. § 238 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG führt zu einem angreifbaren Gerichtsbeschluss.
6.

Setzt sich das Amtsgericht über die rechtzeitige und formal korrekt eingebrachte Verteidigung hinweg, begründet dessen negativer Gerichtsbeschluss die Rechtsbeschwerde. Eine isolierte Anfechtung dieses Beschlusses durch einfache Beschwerde ist nicht möglich.[24] Bei zulassungsbedürftigen Rechtsbeschwerden (hier also i.d.R. OWi ohne Fahrverbot) liegt beim Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens zumindest ein Zulassungsgrund analog § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG vor.[25]

In der Rechtsbeschwerdebegründung muss vorsorglich im Einzelnen vorgetragen werden, welche Unterlagen noch vermisst wurden.[26]

 

Rz. 13

Das Bundesverfassungsgericht hat die Unterscheidung zwischen dem Prüfungsumfang des Gerichts und den Einsichtsrechten der Verteidigung klar aufgezeigt. In der Rechtsprechung und der einschlägigen Literatur war dies zuvor oft unterblieben. Gleichwohl wurde innerhalb des grundsätzlich bestehenden Einsichtsrechts der Verteidigung nicht entschieden, wie weit dieses reicht. Das Interesse der...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?