Frank-Michael Goebel, Claudia Wagener-Neef
1. Grundsatz der pauschalen Abgeltung
Rz. 64
Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren, soweit das RVG nichts anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des RA vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Damit ist geregelt, dass die in derselben Angelegenheit im Rahmen ihres Abgeltungsbereichs entstandenen Gebühren alle Tätigkeiten erfassen und pauschal abgegolten werden. Dieser Grundsatz gilt für alle Gebührenarten (Wert-, Rahmen- und Festgebühren, siehe Rdn 102 ff.).
2. Einmaligkeit der Gebühren
Rz. 65
Laut § 15 Abs. 2 RVG kann der RA die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern, auch wenn der jeweilige Gebührentatbestand mehrmals begründet wurde.
Rz. 66
Beispiel
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Mehrere Schriftsätze an die Gegenseite während der vorgerichtlichen Tätigkeit = einmalige Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG (allerdings kann eine umfangreiche Korrespondenz im Einzelfall das Überschreiten der 1,3-Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG begründen); |
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In einem Rechtsstreit, in dem zwei Verhandlungstermine stattfinden = einmalige Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV RVG. |
Rz. 67
Aus Letzterem ergibt sich der Umkehrschluss, dass der RA in mehreren Angelegenheiten auch mehrmals Gebühren und Auslagen beanspruchen kann. Der Unterscheidung, ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen (Rdn 83 ff.), kommt demnach – betriebswirtschaftlich betrachtet – eine wichtige Bedeutung zu.
3. Verschiedene Gebührensätze
Rz. 68
Sind für Teile des Gegenstandes verschiedene Gebührensätze anzuwenden, so erhält der RA gem. § 15 Abs. 3 RVG für die Teile (ausnahmsweise) gesondert berechnete Gebühren, jedoch nicht mehr als die aus dem Gesamtbetrag der Werteteile nach dem höchsten Gebührensatz sich ergebende Gebühr.
Rz. 69
Beispiel 1
Der RA führt einen Rechtsstreit für seinen Mandanten wegen einer Forderung von 2.600,00 EUR. Wegen eines Teilbetrages von 1.000,00 EUR lässt der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung Versäumnisurteil ergehen; wegen des Restanspruchs von 1.600,00 EUR wird streitig verhandelt.
Rz. 70
Der RA des Klägers rechnet die Terminsgebühren wie folgt ab:
Terminsgebühr gem. Nr. 3105 VV RVG (0,5) aus 1.000,00 EUR |
40,00 EUR |
Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV RVG (1,2) aus 1.600,00 EUR |
180,00 EUR |
Summe |
220,00 EUR |
jedoch gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine 1,2-Gebühr aus 2.600,00 EUR |
241,20 EUR |
Rz. 71
Beispiel 2
Der RA führt einen Rechtsstreit für seinen Mandanten wegen einer Forderung von 1.000,00 EUR. Im Rahmen des Rechtsstreits wird unter Einbeziehung weiterer Ansprüche des Klägers von 2.600,00 EUR ein Vergleich geschlossen.
Rz. 72
Der RA rechnet die Einigungsgebühren wie folgt ab:
Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 VV RVG (1,0) aus 1.000,00 EUR |
80,00 EUR |
Einigungsgebühr gem. Nrn. 1000, 1003 VV RVG (1,5) aus 2.600,00 EUR |
301,50 EUR |
Summe |
381,50 EUR |
jedoch gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine 1,5-Gebühr aus 3.600,00 EUR |
378,00 EUR |
Rz. 73
Bei Beispiel 1 liegt der Kappungswert über den einzeln errechneten Gebühren, so dass die sich aus der Einzelberechnung ergebenden Beträge geltend zu machen sind; hingegen liegt bei Beispiel 2 die Summe der einzelnen Wertgebühren höher als die Gebühr aus dem zusammengerechneten Wert mit dem höchsten Satz, so dass die Kappung des § 15 Abs. 3 RVG anzuwenden ist.
4. Vorzeitige Beendigung
Rz. 74
§ 15 Abs. 4 RVG regelt, dass bereits entstandene Gebühren nicht wegfallen, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, soweit es das Gesetz nicht anders bestimmt. Hier spiegelt sich der Pauschalcharakter der Abs. 1 und 2 wider. Die Gebühr, die mit der ersten Tätigkeit entsteht, entfällt nicht, wenn es nicht zu weiteren Tätigkeiten kommt.
Eine vorzeitige Beendigung kann in Form einer vorzeitigen Erledigung der Angelegenheit oder eines vorzeitigen Endes des Auftrages erfolgen.
Eine vorzeitige Erledigung liegt vor, wenn der Auftrag gegenstandslos wird, bevor der RA ihn vollständig ausgeführt hat.
Rz. 75
Beispiele
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Der Gegner nimmt seine Klage oder sein Rechtsmittel zurück, bevor der bereits für das Verfahren beauftragte RA tätig werden konnte. |
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Eine Einigung der Parteien untereinander kommt ohne Zutun des RA zustande. |
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Der Gegner zahlt nach Auftragserteilung, aber vor Klageerhebung oder Einreichung des Mahnbescheidsantrages. |
Rz. 76
Eine vorzeitige Auftragsbeendigung kann durch Aufhebung oder Kündigung des Anwaltsvertrages geschehen, bevor der RA alle vom Auftrag umfassenden Tätigkeiten vorgenommen hat. Auch wenn Gegenstand des zwischen RA und Mandanten bestehenden Dienstvertrages ist, dass die Bearbeitung der Angelegenheit zu Ende zu bringen ist, kann der Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gem. § 627 BGB gekündigt werden.
Die Rechtsfolgen einer vorzeitigen Kündigung ergeben sich aus § 628 BGB. Ob dem RA eine (Teil-)Vergütung für die bisherigen Leistungen zusteht oder nicht, hängt davon ab, welche Vertragspartei den Anwaltsvertrag gekündigt hat, ob die Kündigung durch vertragswidriges Verhalten einer Partei veranlasst wurde und ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorlag.
5. Kappungsgrenze bei erneuter Beauftragung
Rz. 77
Mit § 15 Abs. 5 S. 1 RVG hat der Gesetzgeber eine...