Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 188
Der Geschädigte, der nach einem Unfall Schadensersatzansprüche aus der Verschuldenshaftung gemäß § 823 BGB geltend macht, trägt die Behauptungs- und Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Anspruchs. Er muss zunächst den haftungsbegründenden Tatbestand beweisen, also ein vom Willen des Schädigers gesteuertes Verhalten, die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter bzw. bei § 823 Abs. 2 BGB alle Umstände, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt. Sodann muss er die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Schädigungshandlung (bzw. dem Unterlassen) und der Rechtsgutverletzung beweisen. Er trägt ferner die Beweislast für ein Verschulden des Schädigers, für den Eintritt eines Schadens und die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden. Die Rechtswidrigkeit muss der Verletzte bei den geschlossenen Tatbeständen (z.B. Körper-, Gesundheits- und Eigentumsverletzung) nicht beweisen, weil sie regelmäßig indiziert wird. Insoweit hat der Schädiger, der sich auf das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beruft, dessen Voraussetzungen nachzuweisen. Der Schädiger hat auch seine Zurechnungsunfähigkeit gemäß den §§ 827 f. BGB zu beweisen. Die Voraussetzungen einer die Haftung einschränkenden Mitverursachung des Geschädigten (etwa § 254 BGB; § 17 StVG) hat der Schädiger zu beweisen.
Rz. 189
Bei einem nur wahlweise festgestellten Schadensablauf darf nicht zulasten des Schädigers von dem für ihn ungünstigeren Verlauf ausgegangen werden, auch wenn das zur Kombination zweier nicht miteinander vereinbarer Geschehensabläufe führt. Umgekehrt müsste der Schädiger auch hier, wenn nur bei einer der Schadensursachen ein Mitverschulden des Verletzten in Betracht kommt, nachweisen, dass gerade diese Ursache zum Unfall geführt hat. Kommen bei einem Unfall zwei Schädiger aus dem Gesichtspunkt des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB als Verantwortliche in Betracht, von denen sich der eine auf ein Mitverschulden des Geschädigten berufen könnte, so kommt dies auch dem anderen Beteiligten, dessen Verursachungsbeitrag nicht positiv festgestellt ist, nach dem Grundsatz der geringsten – hypothetischen – Haftungsquote zugute. Wendet der Schädiger überholende Kausalität, Reserveursachen oder Schadensidentität bei rechtmäßigem Alternativverhalten ein (siehe oben Rdn 166 ff.), so ist er für deren Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig.
Rz. 190
Die Beweislast des Geschädigten wird im Deliktsrecht zu seinen Gunsten teilweise abgeschwächt bzw. umgekehrt, so durch (widerlegliche) Verschuldensvermutungen, etwa in den §§ 831 Abs. 1 S. 2, 832 Abs. 1 S. 2, 833 S. 2, 834 S. 2, 836 Abs. 1 S. 2 BGB. Teilweise wird sie durch gesetzliche oder richterliche Beweiserleichterungen abgeschwächt, etwa durch § 252 S. 2 BGB, § 287 ZPO, durch die Anwendung des Anscheinsbeweises in bestimmten Fällen (Rdn 207 ff.) oder durch Sonderregelungen, wie sie beispielsweise in der Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht entwickelt worden sind (vgl. dazu § 11 Rdn 43 ff. – Arzthaftung).
Rz. 191
In Schadensersatzprozessen hängt der Erfolg oft davon ab, ob die vom Schädiger bestrittenen Tatsachen bewiesen werden können. Deshalb ist es nicht nur für das Gericht, sondern auch für die Parteien – schon bei den außergerichtlichen Regulierungsverhandlungen – wichtig, sich klarzumachen, welcher Beweismaßstab gilt. Bei der Anwendung des § 286 ZPO gilt ein strenger Beweismaßstab, § 287 ZPO enthält einen weniger strengen Beweismaßstab. Für die Praxis von besonderer Bedeutung ist deshalb die – häufig zu wenig beachtete – Differenzierung zwischen Primärverletzungen ("Primärschäden"), also unmittelbaren Schädigungen des Körpers oder der Gesundheit, für die das Beweismaß des § 286 ZPO gilt, und den Folgeschäden ("Sekundärschäden"), für die das Beweismaß des § 287 ZPO gilt. Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet Anwendung, soweit es um die Frage geht, ob eine haftungsbegründende Primärverletzung weitere vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität). Werden unabhängig davon aus der zugrundeliegenden Verletzungshandlung weitere unfallursächliche Primärverletzungen geltend gemacht, unterfallen diese dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität).
Rz. 192
Der Anspruchsteller, der Schadensersatz fordert, muss die haftungsbegründende Kausalität, also insbesondere dass er bei dem Unfall einen Schaden an seinem Eigentum oder eine Körper- oder Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 BGB bzw. § 7 StVG erlitten hat, nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO nachweisen. Zivilrechtlich reicht es aus, wenn der Unfall für die Verletzung mitursächlich geworden ist. Er muss nicht die alleinige Ursache sein. So schadet etwa eine mitwirkende Vorschädigung nicht. Es muss nach dem Beweismaß des § 286 ZPO lediglich feststehen, dass die Verletzung ohne den Unfall nicht eingetreten wäre.