Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1025
Es liegt auf der Hand, dass es für den Sicherungspflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar ist, Gefahren für die Verkehrsteilnehmer durch Schnee, Eis oder Raureif völlig auszuschließen. Nach den landesgesetzlichen Regelungen gehört zwar zur Verkehrssicherungspflicht auch der Winterdienst als Räum- und Streupflicht, ihr Inhalt ist aber durch umfangreiche Judikatur geprägt und ergibt sich nicht im Einzelnen aus dem Gesetz. Insoweit konkret wird lediglich die Regelung des § 1 StrReinG NRW, wonach gilt:
(1) Die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslagen sind von den Gemeinden zu reinigen, Bundesfernstraßen, Landstraßen und Kreisstraßen jedoch nur, soweit es sich um Ortsdurchfahrten handelt. Die Gemeinden können diese Aufgabe einer nach § 114a der Gemeindeordnung durch sie errichteten Anstalt des öffentlichen Rechts übertragen.
(2) Die Reinigung umfasst als Winterwartung insbesondere:
1. |
das Schneeräumen auf den Fahrbahnen und Gehwegen, |
2. |
das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und gefährlichen Stellen auf den Fahrbahnen bei Schnee- und Eisglätte. |
Wird nach vorstehender Regelung die Reinigung bzw. Winterwartung auf eine Anstalt des öffentlichen Rechts übertragen, so haftet dann diese als rechtfähige juristische Person (vgl. § 114a Abs. 1, 6 GO NRW), nicht aber der Straßenbaulastträger.
Rz. 1026
Damit gibt § 1 StrReinG NRW in den Grundzügen dasjenige wieder, was durch die Rechtsprechung als Inhalt der Räum- und Streupflicht entwickelt wurde.
Vorrangig ist es aber Sache der Benutzer von öffentlichen Verkehrsflächen, selbst die von Glätte ausgehenden Gefahren zu beherrschen. Demgemäß hat der Sicherungspflichtige einerseits nicht überall zu streuen und zu räumen. Vielmehr sind der Streu- und Räumpflicht zeitliche, räumliche und sachliche Grenzen gesetzt. Innerhalb geschlossener Ortslagen sind Fahrbahnen der Straßen bei winterlichen Verhältnissen nur an zugleich gefährlichen und verkehrswichtigen Stellen zu räumen und zu streuen. Außerhalb geschlossener Ortslagen besteht die Räum- und Streupflicht nur an besonders gefährlichen Stellen verkehrswichtiger Straßen.
Rz. 1027
Völlige Gefahrfreiheit ist bei winterlichen Straßenverhältnissen auch durch Räumen und Streuen nicht zu erzielen und kann deshalb vom Straßennutzer nicht erwartet werden, der selbst dafür verantwortlich ist, sein Verkehrsverhalten den Straßenverhältnissen anzupassen. Da der Benutzer der Straße in erster Linie die Gefahren selbst beherrschen muss, kann er gerade bei extremen Verhältnissen – Eisregen, andauernder Schneefall – nicht erwarten, dass eine gewisse Sicherheit durch Winterdienstmaßnahmen geschaffen wird, denn die unter diesen Umständen zwecklosen Winterdienstmaßnahmen schuldet der Sicherungspflichtige nicht. Vielmehr muss der Straßennutzer unter solchen Bedingungen von der Benutzung der Verkehrsfläche absehen, wenn sie für ihn nicht beherrschbar ist. Erledigen Sicherungspflichtige Winterdienstmaßnahmen überobligatorisch, begründet das keine Rechtspflicht über die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hinaus.
Rz. 1028
Grundsätzlich können die Gemeinden nach den jeweiligen Landesstraßengesetzen (z.B. § 4 StrReinG NRW) den Winterdienst für Gehwege und Gehbahnen durch Satzung auf die Anlieger übertragen. Anlieger sind je nach Landesrecht die Eigentümer oder die "dinglich Berechtigten" derjenigen Grundstücke, die an die zu reinigende Wegefläche angrenzen oder durch sie erschlossen werden. Die Haftung der Anlieger richtet sich in diesen Fällen nach den deliktsrechtlichen Grundsätzen gemäß §§ 823 ff. BGB. Die Kommune hat die Amtspflicht – stichprobenhaft – zu überwachen, dass die Anlieger ihren satzungsgemäß übertragenen Pflichten auch nachkommen; das Verweisungsprivileg nach § 839 Abs. 1 S. 2 BGB greift nicht ein. Ist die Gemeinde selbst Anliegerin, haftet sie nach allgemeinem Deliktsrecht und hat sich selbst an die durch die Gemeindesatzung übergewälzten Pflichten zu halten.
Rz. 1029
Die von Straßenbaulastträgern in der Regel erstellten Streupläne sind zwar Teil der organisatorischen Vorkehrungen, die der Erfüllung von Winterdienstpflichten dienen, stellen aber in erster Linie innerbetriebliche Maßnahmen dar. Unmittelbare Außenwirkungen zugunsten der Straßenbenutzer haben sie nicht. Sind in den Streuplan Stellen zur winterdienstlichen Bearbeitung aufgenommen, an denen nach der Rechtslage kein Winterdienst besteht, kann sich der Straßennutzer nicht auf den Inhalt des Streuplans berufen.