Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 201
Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn jemand seinem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Der Rechtsprechung zur Beweisvereitelung liegt der Rechtsgedanke zugrunde, der etwa in den §§ 427, 441 Abs. 3 S. 3, 444 ZPO seinen Ausdruck gefunden hat. Im Arzthaftungsrecht hat dieser Gedanke zu einer eigenständig formulierten Beweiserleichterung für die Fälle geführt, in denen es der Arzt schuldhaft unterlassen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern.
Rz. 202
Eine Beweisvereitelung kann in verschiedener Form auftreten. Sie kann vorprozessual oder während des Prozesses durch gezielte Handlungen geschehen, mit denen bereits vorhandene Beweismittel vernichtet oder vorenthalten werden. Dies setzt nicht stets ein Verschulden voraus. Häufig ist jedoch ein Verschulden erforderlich, und zwar ein doppeltes Verschulden, das sich sowohl auf die Zerstörung bzw. Entziehung des Beweisobjektes als auch auf dessen Beweisfunktion im gegenwärtigen oder zukünftigen Prozess beziehen muss. Geschäftliches Handeln kann schon vor Schadenseintritt auf eine spätere Beweisvereitelung ausgerichtet sein.
Rz. 203
Eine Beweisvereitelung scheidet danach schon im Ansatz aus, wenn es der betroffenen Partei in keiner Weise obliegt, dem Gegner eine Beweisführung zu ermöglichen. So ist etwa niemand, dem eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen wird, verpflichtet, im Interesse des angeblichen Unfallopfers Fotos von der Unfallstelle zu machen. Anderes gilt aber, wenn nach Eintritt eines Schadensfalls ersichtlich ist, dass es auf die Feststellung der Umstände ankommt und ein Beteiligter dieses durch sein Handeln erschwert oder gar unmöglich macht. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Unfallbeteiligter sein Fahrzeug aus der Unfallstellung entfernt, obwohl es für die Klärung des Unfallhergangs erkennbar auf die Stellung der Fahrzeuge ankommt. Entsprechendes gilt, wenn sich ein Unfallbeteiligter den notwendigen Feststellungen durch Entfernen vom Unfallort entzieht. Auch bei der späteren Aufklärung der Unfallursachen kommt eine Mitwirkungspflicht der nicht beweispflichtigen Partei in Betracht. So kann die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, nur ihr bekannte Unfallzeugen namhaft zu machen, je nach den Umständen als Beweisvereitelung bewertet werden.
Rz. 204
Eine Beweisvereitelung kann auch in dem fahrlässigen Unterlassen einer Aufklärung bei bereits eingetretenem Schadensereignis liegen, wenn damit die Schaffung von Beweismitteln verhindert wird, obwohl die spätere Notwendigkeit einer Beweisführung dem Aufklärungspflichtigen bereits erkennbar sein musste.
In diesem Zusammenhang ist auch der Fall zu nennen, dass der Kunde einer Telefongesellschaft Einwendungen gegen die Telefonrechnung erst erhebt, nachdem die Telefongesellschaft die der Rechnungsstellung zugrunde liegenden Daten bereits aufgrund gesetzlicher Vorgaben gelöscht hatte. Erfolgt die Vernichtung von Vertragsunterlagen nach Mikroverfilmung aus Rationalisierungsgründen und bestreitet später der Vertragsgegner die Echtheit der Unterschrift auf der vernichteten Originalurkunde, sind die Grundsätze über die Beweisvereitelung nicht anzuwenden.
Rz. 205
Die Beweisvereitelung durch eine Partei führt als solche nicht bereits zum Verlust des Prozesses, sondern allenfalls dazu, dass ihr Verhalten im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu ihren Lasten gewürdigt werden kann. Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Umkehr der Beweislast. Die Beurteilung der Folgen des beweisvereitelnden Verhaltens richtet sich vielmehr danach, ob und in welchem Umfang dem Geschädigten nach tatrichterlichem Ermessen die Beweisführungslast für ein pflichtwidriges Verhalten des Gegners angesichts eines von diesem verschuldeten Aufklärungshindernisses billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. Bei vorsätzlicher Vereitelung kann im Ergebnis die Feststellung der zu beweisenden Tatsache – nebst Umkehr der Beweislast – gerechtfertigt sein. Entsprechendes gilt unter Zugrundelegung der o.a. Maßstäbe der Rechtsprechung grundsätzlich auch für die fahrlässige Beweisvereitelung. Denn auch in derartigen Fällen kann bei der Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) zu berücksichtigen sein, dass dem eigentlich Beweispflichtigen die volle Beweislast billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann. Allerdings wird bei nur fahrlässigem Verhalten insoweit oft Zurückhaltung angebracht sein.
Rz. 206
Die Voraussetzungen für eine Beweisvereitelung müssen positiv festgestellt sein. Hat etwa ein Arzt die Krankenunterlagen an die gesetzliche Krankenkasse zur Begutachtung übersandt und behauptet er im Prozess, diese – entgegen der Behauptung der Krankenkasse – nicht zurückerhalten zu haben, muss der Patient dies widerlegen; gelingt ihm dies nicht, ist eine Beweisvereitelung des Arztes nicht erwiesen. Ist nicht auszuschließen, dass ein Dritter für den Verlust ...