Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 670
Erfüllungsgehilfe ist derjenige, der nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als dessen Hilfsperson tätig wird. Er muss objektiv eine Aufgabe übernehmen, die dem Schuldner im Verhältnis zum Gläubiger obliegt, und mit dem Willen des Schuldners tätig werden. Unerheblich ist die Art der zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfen bestehenden Beziehung. Sie mag privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder rein tatsächlicher Natur sein; auch die Nichtigkeit des Rechtsverhältnisses schadet nicht. Es kommt ferner nicht auf die Kenntnis des Erfüllungsgehilfen von seiner Funktion an. Im Gegensatz zu § 831 BGB ist das Bestehen eines Weisungsrechts des Schuldners keine Voraussetzung.
Rz. 671
Erfüllungsgehilfe ist jedoch nicht, wer lediglich eigene Verbindlichkeiten gegenüber dem Gläubiger erfüllt. Nach diesen Maßstäben ist regelmäßig der Hersteller einer Ware kein Erfüllungsgehilfe des Verkäufers und der Ersatzteillieferant nicht Erfüllungsgehilfe des Werkunternehmers, der das Teil einbaut.
Rz. 672
§ 278 BGB erfasst die gesamte Schuldverpflichtung des Schuldners. Zu den hiervon umfassten Verbindlichkeiten gehören nach Art und Inhalt des jeweiligen Schuldverhältnisses nicht nur Hauptleistungspflichten nach § 241 Abs. 1 BGB, sondern auch Schutz-, Sorgfalts- und Fürsorgepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Unter den Begriff der Schuldverpflichtung fällt somit das gesamte dem Schuldner in Bezug auf die Verbindlichkeit obliegende Sorgfaltsverhalten unter Einschluss der sich aus § 242 BGB ergebenden Nebenverpflichtungen. Deshalb haftet der Schuldner für Untätigkeit seines Erfüllungsgehilfen, wenn dieser nach dem Schuldverhältnis hätte tätig werden müssen. Auch im vorvertraglichen Stadium kann ein Erfüllungsgehilfe mit der Wahrnehmung von Pflichten betraut sein; Verhandlungs- und Abschlussgehilfen werden von der Norm erfasst.
Rz. 673
Ein Schuldner haftet nach § 278 BGB ebenfalls, wenn sich die von ihm hinzugezogene Hilfsperson wiederum eines Erfüllungsgehilfen bedient, sofern dessen Einschaltung dem Willen des Schuldners entspricht. Das Einverständnis kann auch stillschweigend erteilt sein; der Schuldner muss nicht wissen, welche weiteren Gehilfen sein Erfüllungsgehilfe einschaltet. War der Schuldner indes nicht mit der Einschaltung weiterer Hilfspersonen durch seinen Erfüllungsgehilfen einverstanden, haftet er gleichwohl aus dem Gesichtspunkt, dass die Eigenmächtigkeit seiner Erfüllungsgehilfen bei der Einschaltung Dritter ein Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen darstellt.
Rz. 674
War der Schuldner unentgeltlich beauftragt, die Ausführung eines Auftrags einem Dritten zu übertragen (Substitution), so haftet er gemäß § 664 Abs. 1 S. 2 BGB nur für eigenes Verschulden bei der Auswahl und Übertragung der Aufgabe, nicht aber für das Verschulden des von ihm Ausgewählten. Geschieht die Übertragung der Ausführung jedoch im Rahmen entgeltlicher Geschäftsbesorgung, haftet der Schuldner nach § 278 BGB für das Verschulden der Beauftragten, weil § 675 BGB den § 664 BGB nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Dies betrifft etwa den Werkunternehmer, der mit Zustimmung des Gläubigers die Ausführung des Auftrags weitergibt oder den amtlich bestellten Vertreter eines Rechtsanwalts.
Rz. 675
Auf versicherungsvertragliche Obliegenheiten ist § 278 BGB nicht anwendbar, denn § 81 VVG (früher § 61 VVG) begründet keine versicherungsvertragliche Schadensverhütungspflicht des Versicherungsnehmers. Die Anwendung des § 278 BGB auf Fälle des § 81 (bzw. § 61) VVG – Herbeiführung des Versicherungsfalls – würde zu einer Haftung des Versicherungsnehmers auch für jede untergeordnete Hilfsperson führen, die mit irgendeiner Tätigkeit hinsichtlich des Versicherungsgutes betraut ist. Damit würde der Versicherungsschutz in unangemessener Weise eingeschränkt.
Rz. 676
Deshalb hat im Bereich des Versicherungsrechts nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung der Versicherungsnehmer nur für schuldhaftes Handeln oder Unterlassen eines solchen Dritten einzustehen, der sein Repräsentant ist. Dieses Einstehenmüssen führt im Falle vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG) oder Obliegenheitsverletzung (§ 28 Abs. 2 VVG) zum Ausschluss oder zur Einschränkung des Versicherungsschutzes. Repräsentant ist, wer im Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache allein reicht hierfür grundsätzlich nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbstständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Übt der Dritte aufgrund eines Vertrags oder ähnliche...