Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 926
Die den Geschädigten treffende Obliegenheit zur Schadensabwendung durch Einlegung eines Rechtsmittels stellt eine besondere Ausprägung des allgemeinen, in § 254 BGB verkörperten Rechtsgedankens der Beachtlichkeit des Mitverschuldens eines Geschädigten an der Schadensentstehung dar; es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich, gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen.
Rz. 927
Der Haftungsausschluss des § 839 Abs. 3 BGB betrifft insoweit zunächst den Vorrang des klassischen verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Primärschutzes, der vor der Inanspruchnahme des Beamten beziehungsweise der Anstellungskörperschaft auf Schadensersatz auszuschöpfen ist, um vorrangig die nachteiligen Folgen einer Amtspflichtverletzung zu verhindern. Hierzu zählen auch Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO.
Der Begriff des "Rechtsmittels" im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB ist hierauf jedoch nicht beschränkt, sondern erfasst daneben alle formellen und informellen Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und ermöglichen. Auch bloße Gegenvorstellungen, Erinnerungen an die Erledigung eines Antrags, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden gehören hierzu. Selbstständige Verfahren, die lediglich faktisch den Schaden abgewendet hätten, sich aber nicht gegen die schädigende Amtshandlung richten, fallen dagegen nicht unter § 839 Abs. 3 BGB. Auch die Einholung eines Privatgutachtens stellt kein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB dar.
Rz. 928
Die Nichteinlegung des jeweils in Betracht kommenden Rechtsmittels muss der Geschädigte vorwerfbar, im Sinne eines "Verschuldens gegen sich selbst" versäumt haben. Ein Rechtsmittel muss möglich, zumutbar und erfolgversprechend sein, damit sein Nichtgebrauch zu einem Anspruchsverlust führt. Insofern ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auf die Verhältnisse des Verkehrskreises, dem der Verletzte angehört, abzustellen und zu ermitteln, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen dieses Kreises verlangt werden kann und muss. Bei Rechtsunkenntnis ist der Betroffene gehalten, rechtskundigen Rat einzuholen. Das Verschulden seines Anwalts muss der Geschädigte sich zurechnen lassen. Die Nichtergreifung eines zur Verfügung stehenden Rechtsmittels ist regelmäßig als schuldhaft anzusehen. Wird bewusst davon abgesehen, zur Verfügung stehende Rechtsbehelfe zu ergreifen, ist hierin ein vorsätzliches Unterlassen zu erblicken.
Rz. 929
Die im Rahmen von § 839 Abs. 3 BGB ferner geforderte Kausalität zwischen der schuldhaften Nichteinlegung eines zumutbaren Rechtsmittels und dem Schadenseintritt ist in der Regel zu bejahen, wenn über den zu Gebote stehenden Rechtsbehelf voraussichtlich zugunsten des Geschädigten entschieden worden wäre. Sie ist zu verneinen, wenn die schädigende Amtspflichtverletzung durch den Rechtsbehelf nicht (mehr) hätte beseitigt oder berichtigt werden können. Maßgeblich ist im Grundsatz, wie die Behörde oder das Gericht richtigerweise hätte entscheiden müssen. Hätte ein Rechtsbehelf den Schaden aus einer Amtspflichtverletzung nur teilweise abwenden können, so lässt die schuldhafte Nichteinlegung den Ersatzanspruch nur zum entsprechenden Teil entfallen.
Rz. 930
Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen des § 839 Abs. 3 BGB trägt der in Haftung genommene Beamte beziehungsweise in den Fällen der Haftungsüberleitung des Art. 34 GG die für sein Fehlverhalten einstehende Körperschaft.