Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 147
Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Ein solcher Erlaubnistatbestandsirrtum ist auch zivilrechtlich relevant. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass lediglich die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ausgeschlossen ist, bei Vermeidbarkeit des Irrtums aber selbst strafrechtlich eine Verantwortlichkeit wegen einer Fahrlässigkeitstat möglich ist (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB). War der Irrtum vermeidbar, kommt demnach eine zivilrechtliche Haftung in Betracht.
Rz. 148
Im Zivilrecht gilt im Übrigen grundsätzlich die sog. Vorsatztheorie, wonach zum Vorsatz auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gehört; bei einem Verbotsirrtum entfällt danach die Haftung.
Rz. 149
Bei der Verletzung eines strafrechtlichen Schutzgesetzes gilt im Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 BGB, dass ein Verbotsirrtum nach der sog. Schuldtheorie nur entlastet, wenn er unvermeidbar war. Dabei ist unerheblich, ob sich die Strafbarkeit aus der verletzten Norm selbst ergibt oder ob das Gesetz ihre vorsätzliche Verletzung an anderer Stelle unter Strafe stellt (so etwa bei §§ 32, 54 KWG a.F.). Ist der vorsätzliche Verstoß gegen das Schutzgesetz strafbar, muss auch bezüglich eines etwaigen Verbotsirrtums der Vorsatz in Übereinstimmung mit dem Strafrecht beurteilt werden.
Rz. 150
Hält der Täter seine Geschäfte für rechtlich zulässig und nicht erlaubnispflichtig, so stellt dies aus strafrechtlicher Sicht einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) dar, der die Tat nur dann als entschuldigt erscheinen lässt, wenn er unvermeidbar war. Unvermeidbar ist der Irrtum, wenn der Täter genügende Erkundigungen eingeholt hat, bei möglicherweise erlaubnispflichtigen Anlagegeschäften etwa durch Einholung einer Auskunft der Erlaubnisbehörde. Für jemanden, der im Geschäftsleben steht, wird kaum jemals ein Irrtum über das Bestehen eines Schutzgesetzes, das für seinen Arbeitsbereich erlassen wurde, unvermeidbar sein. Denn jeder ist im Rahmen seines Wirkungskreises verpflichtet, sich über das Bestehen von Schutzgesetzen zu unterrichten.
Rz. 151
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass ein Verbotsirrtum nur dann unvermeidbar ist, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte, was voraussetzt, dass er alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa auftauchende Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rat beseitigt hat. Immer wenn der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens das Unrechtmäßige seines Tuns hätte erkennen können, ist sein Verbotsirrtum verschuldet. Hat der Betroffene allerdings fachkundigen Rechtsrat zu einer von juristischen Laien nicht ohne Weiteres zu beurteilenden Rechtsfrage eingeholt, kann der Irrtum darüber, dass das Handeln nicht erlaubt ist, unvermeidbar sein.
Rz. 152
Zum Irrtum in einer vermeintlichen Notwehrsituation vgl. oben Rdn 102 ff.
Rz. 153
Bei fahrlässigem Handeln bezieht sich der Irrtum auf die Einschätzung der Situation bzw. auf angenommene Handlungsmöglichkeiten. Für die rechtliche Beurteilung geht es dann darum, ob der Betroffene die erforderliche Sorgfalt beachtet hat oder nicht.