Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1052
Auch für den zeitlichen Umfang der Streupflicht kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Von Bedeutung für die Bemessung ist insbesondere die Verkehrswichtigkeit der zu streuenden Fläche; eingrenzendes Korrelat ist dagegen die zeitliche und personelle Leistungsfähigkeit der streupflichtigen Körperschaft. Weil vorrangig das Verkehrsbedürfnis den Ausschlag gibt, ist nach der Rechtsprechung an Werktagen für den Hauptberufsverkehr zu streuen. Diejenigen Verkehrsflächen, die dieser Verkehr benutzt – also insbesondere Hauptverkehrsstraßen – haben deshalb in der Zeit zwischen 7:00 Uhr morgens und 20:00 Uhr abends abgestreut zu sein. Das bedeutet, dass mit Streumaßnahmen so frühzeitig begonnen werden muss, dass die zu streuenden Flächen gegen 7:00 Uhr behandelt sind. Bei Fußgängerzonen reicht es aber aus, wenn die winterdienstliche Behandlung um 9:30 Uhr abgeschlossen ist, da erfahrungsgemäß erst ab diesem Zeitpunkt aufgrund der Öffnung der Läden mit einer Verdichtung des Fußgängerverkehrs zu rechnen ist. Bei besonderem Verkehrsbedürfnis wie z.B. an Theatern, Gaststätten oder Bahnhöfen kann es angezeigt sein, auch außerhalb dieses Zeitrahmens wiederholt winterdienstliche Maßnahmen zu ergreifen; das muss aber die enge Ausnahme bleiben, weil andernfalls streupflichtige Körperschaften überfordert würden. An Samstagen und Sonntagen reicht es mit Rücksicht auf das Verkehrsaufkommen aus, wenn bis 9:00 Uhr abgestreut ist.
Rz. 1053
Vorbeugendes Streuen verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich nicht. Die Streupflicht setzt grundsätzlich erst ein, wenn erkennbare Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr durch Glättebildung bestehen. Deshalb müssen die sicherungspflichtigen Körperschaften durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass durch die Beobachtung von Wettervorhersagen gefährliche Witterungsbedingungen frühzeitig erkannt und rechtzeitig Winterdiensteinsätze ausgelöst werden. Dazu haben sie die erforderlichen sachlichen und personellen Mittel (Fahrzeugpark, Streumittel) im voraussichtlich erforderlichen und zumutbaren Umfang vorzuhalten. Ist mit Rücksicht auf die prognostizierte Witterungslage konkret zu befürchten, dass sich in bestimmten Bereichen außerhalb der eigentlichen Zeitraums, in dem Winterdienstmaßnahmen durchzuführen sind, gefährliches Glatteis bilden wird, von dem der morgens einsetzende Verkehr betroffen sein kann, sind ausnahmsweise vorbeugende Maßnahmen vor Beginn der Streupflicht geboten, wenn es sich um gefährliche Stellen handelt. Zur erforderlichen Organisation des Winterdienstes gehört das Erstellen von Streuplänen, die die durch das Verkehrsbedürfnis zu setzenden Prioritäten abzubilden haben. Bei Auftreten plötzlicher Glätte ist dem Streupflichtigen eine Reaktionszeit zuzubilligen; nicht verlangt werden kann, dass sofort sämtliche Strecken bearbeitet werden.
Rz. 1054
Soweit die Streupflicht auf Anlieger übertragen werden soll, muss die satzungsrechtliche Bestimmung so klar und bestimmt sein, dass sie nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rechtmäßigkeitsanforderungen genügt, sondern dem streupflichtigen Anlieger eine nachvollziehbare Handlungsanleitung gibt. Bei der Auslegung einer Satzung ist nach dem Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung davon auszugehen, dass keine Leistungspflichten begründet werden sollen, die über die Grenze der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit hinausgehen, und überdies durch den Satzungsgeber (Gemeinde) auch keine Räum- und Streupflichten für Anlieger begründen werden können, die über die Anforderungen der die Gemeinde selbst treffenden (allgemeinen) Verkehrssicherungspflicht hinausgehen. Überträgt die Gemeinde die Räum- und Streupflicht auf Anlieger oder bedient sie sich zur Erfüllung eigener Pflichten privater Unternehmer, muss sie diese Dritten auf die Einhaltung der an sie delegierten Pflichten insbesondere durch regelmäßige Stichproben kontrollieren. Die Gemeinde hat hierzu aber kein gesondertes Personal vorzuhalten, vielmehr reicht es aus, wenn die Erfüllung des Winterdienstes durch die Anlieger anlässlich der Durchführung der von der Gemeinde zu erbringenden eigenen Streu- und Räumpflicht (z.B. Straßenräumung) im Blick behalten wird. Wird eine Untätigkeit der Anlieger festgestellt, müssen diese ordnungsrechtlich zu Pflichterfüllung angehalten werden. Kommt die Gemeinde ihrer Überwachungs- bzw. Kontrollfunktion nicht nach, kann dies im Außenverhältnis zu einer gesamtschuldnerischen Haftung neben dem säumigen Anlieger führen. Im Innenverhältnis steht der Gemeinde dann aber ein Freistellungsanspruch zu, denn der Anlieger kann sich nicht darauf berufen, er sei von der Kommune nur unzureichend überwacht worden.