Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
a) Allgemeines
Rz. 1195
Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeuges kann niemals abstrakt bestimmt werden. Ihre haftungsbegründende oder -mindernde Relevanz hängt entscheidend von den konkreten Umständen des Unfalls ab. Die einfache Betriebsgefahr kann zur Folge haben, dass vollständiger Schadensersatz geleistet werden muss, wenn der Geschädigte sich keinen Verursacherbeitrag anrechnen lassen muss und auch kein Mitverschulden zu seinen Lasten feststellbar ist. Sie kann aber auch – im Falle der Abwägung solcher Faktoren – völlig zurücktreten. Dies kommt selbst dann in Betracht, wenn die Betriebsgefahr leicht erhöht ist. Die Spannweite möglicher Bewertungen wird entscheidend von den sachlichen Zusammenhängen des tatsächlichen Geschehens bestimmt, in dem sich die Betriebsgefahr jeweils auswirkt. Geboten ist eine Gesamtabwägung der auf allen Seiten mitwirkenden Verursachungsanteile. Dies muss grundsätzlich zu symmetrischen Quoten führen, wenn auch in der Praxis nicht selten asymmetrische Ergebnisse erzielt werden (Abrechnung verschiedener Haftpflichtversicherer, Geltendmachung wechselseitiger Ansprüche in verschiedenen Prozessen). Bei der Entscheidung über wechselseitige Ansprüche in einem Prozess (Klage und Widerklage) oder bei der gerichtlichen Bestimmung von Haftungsanteilen muss sich jedoch bei den Quoten der Ansprüche und der Mitverantwortungsanteile stets eine Symmetrie ergeben. Werden also beispielsweise in einem Prozess Schädiger als Gesamtschuldner verurteilt, steht ihre Haftung zwar im Verhältnis zum Gläubiger, aber nicht im Verhältnis untereinander fest. In dem folgenden Rechtsstreit über den Innenausgleich bleibt jedem der zuvor rechtskräftig verurteilten Schädiger damit die Möglichkeit, die im Vorprozess bejahte Verbindlichkeit dem Gläubiger gegenüber und damit auch das Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses überhaupt in Frage zu stellen. Eine Bindungswirkung kann nur über die prozessualen Mittel der Nebenintervention und der Streitverkündung erzielt werden.
Rz. 1196
In allen anderen Fällen kann es zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen. Ist einer der nach § 17 StVG Beteiligten rechtskräftig zu Schadensersatz nach einer bestimmten Quote verurteilt, kann er daher u.U. eine bessere Quote für seinen Anspruch aus dem Unfallereignis im Aktivprozess umgekehrten Rubrums erreichen. Auch in einem Folgeprozess über Ausgleichsansprüche gegen Mitschuldner erwächst aus dem ersten Urteil gegen den Ausgleichskläger keine Bindung, wenn die in Anspruch genommenen Ausgleichsschuldner nicht zuvor als Nebenintervenienten nach § 68 ZPO beteiligt waren.
b) Feststellung der abzuwägenden Tatsachen
Rz. 1197
Vor jeder Abwägung müssen die abzuwägenden Tatsachen festgestellt werden, und zwar sowohl belastende als auch entlastende Umstände. Dabei ist von dem allgemeinen Grundsatz auszugehen, dass die Beweislast für bestimmte Tatsachen derjenige trägt, der sich auf sie beruft. Bei den haftungsbegründenden wie den haftungsausfüllenden Tatsachen können jeweils nur unstreitige, zugestandene und erwiesene Tatsachen berücksichtigt werden.
Rz. 1198
Wird ein Verschulden nur vermutet, ist dieses bei der Abwägung der Verursacherbeiträge nicht zu berücksichtigen, da jeder Anhaltspunkt für das Maß dieses Verschuldens fehlt, das von der leichtesten Fahrlässigkeit bis zur gröbsten Sorgfaltspflichtverletzung reichen kann Bei der Feststellung des Haftungsgrundes sind vermutete Tatsachen – wie das vermutete Verschulden des Fahrers nach § 18 Abs. 1 StVG – aber relevant.
c) Prüfungssystematik zu § 17 Abs. 2 StVG
Rz. 1199
Im Fall des § 17 Abs. 2 StVG hat zunächst der geschädigte Halter darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden beim Betrieb des jeweils anderen Kraftfahrzeuges entstanden ist. Gegenüber dem Fahrer greift nach § 18 Abs. 1 StVG die Vermutung schuldhafter Verursachung ein, die der Sache nach den gleichen Regeln folgt. Auf der Ebene des Haftungstatbestandes und der Kausalität haben sich Halter und Kraftfahrzeugführer dann zu entlasten (§§ 7 Abs. 2, 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG) und tragen insofern die volle Beweislast.
Rz. 1200
Ist die Verantwortlichkeit auf keiner der beiden Seiten ausgeschlossen, hat der Gläubiger die Beweislast für alle gefahrerhöhenden Umstände, die zu seinen Gunsten wirken. Der Schuldner trägt die Beweislast spiegelbildlich für solche Tatsachen, die verantwortungserhöhend zu Lasten des Gläubigers wirken.
Rz. 1201
Zur konkreten Bestimmung des Anspruchsumfangs bedarf es zunächst der Feststellung unstreitiger, zugestandener und erwiesener Tatsachen, die zu einer erhöhten Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges des Anspruchsschuldners (Schädigers) führen (Beweislast des Gläubigers).
Rz. 1202
Als nächstes erfolgt die F...