Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1269
Auffahrunfälle gehören zu den häufigsten Kollisionstypen und können auf höchst unterschiedlichen Ursachen beruhen wie z.B. auf der Unachtsamkeit des Auffahrenden, einem zu kurzen Sicherheitsabstand, zu hoher Geschwindigkeit, plötzlichem verkehrsbedingtem oder unmotiviertem Bremsen des Vordermannes, auf einem Fahrstreifenwechsel des Vordermannes, auf Beleuchtungsmängeln des vorausfahrenden oder stehenden Kraftfahrzeuges und auch auf dessen Verwicklung in einen Unfall. Liegen keine besonderen Umstände vor, spricht der Anscheinsbeweis für ein Auffahrverschulden und die Betriebsgefahr des anderen Kraftfahrzeuges tritt zurück. In hohem Maß kommt es deshalb auf das Verhalten des Vordermannes an und auf die situationsbezogenen Gegebenheiten seines Kraftfahrzeuges.
Rz. 1270
Die Alleinhaftung des Auffahrenden tritt in der Regel ein, wenn dieser auf ein stehendes Fahrzeug auffährt und die Betriebsgefahr dieses Fahrzeuges nicht erhöht ist. Gleiches gilt, wenn der vorausfahrende Fahrer verkehrsbedingt bremst, und zwar auch während des Anfahrens kurz nach einem Halt vor einer Lichtzeichenanlage. Allgemein kann die Abwägung der Verursacherbeiträge im Einzelfall aber auch zu einer Schadensquotelung führen. Es kommt deshalb eine Mithaftung zu Lasten des Halters eines Lkw von 20 % in Betracht, der auf der Autobahn nach einem Unfall bei schlechten Sichtverhältnissen nicht sofort rechts abgestellt wurde. Hälftige Schadensteilung ist sachgerecht, wenn jemand wegen Nichteinhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes auf einen Pkw auffährt, dessen Fahrer bremst, um vorschriftswidrig zu wenden. Fährt ein Pkw auf einen Lastzug auf, der bei Dunkelheit und Nieselregen auf einer Vorfahrtstraße außerhalb geschlossener Ortschaft parkt, ist der Schaden im Verhältnis von 1:1 zu teilen. Die Betriebsgefahr eines Militärfahrzeuges mit schwach leuchtenden Bremslichtern ist derart erhöht, dass der Führer des nachfolgenden Lastzuges, der nachts im Bereich einer Autobahnbaustelle auf dieses die Geschwindigkeit herabsetzende Fahrzeug auffährt, ein Drittel seines materiellen Schadens ersetzt verlangen kann. Leuchten die Bremslichter des vorausfahrenden Kraftfahrzeuges nicht auf, ist dessen Betriebsgefahr doppelt so hoch zu bemessen wie die des auffahrenden Kraftfahrzeuges. Ein Kraftfahrer braucht seinen Abstand im Allgemeinen nicht danach zu bemessen, dass der vor ihm befindliche Pkw unter Umständen als Folge einer Auffahrkollision mit stark verkürztem Anhalteweg zum Stehen kommen kann. Daher kommt in einem solchen Falle eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 2:1 zu Lasten des Vorausfahrenden in Betracht. Bremst ein Kraftfahrer auf einer Autobahn ohne verkehrsbedingten Grund abrupt ab und fährt infolge dessen ein Nachfolgender auf sein Kraftfahrzeug auf, so haftet er einem weiteren Nachfolger, der infolge der Bremsverkürzung seinerseits auffährt, auf vollen Schadensersatz. Der Fahrer eines Pkw, der eine Vollbremsung vornimmt, um den Nachfolgenden zu disziplinieren, ist für einen hierdurch entstehenden Auffahrunfall allein verantwortlich. Wer auf freier Strecke wegen eines Tieres anhalten will, das für den nachfolgenden Verkehr nicht ohne weiteres erkennbar ist, hat die Gefährdung auszuschließen. In einem solchen Fall kommt die hälftige Haftung des Vorausfahrenden in Betracht, wenn er abrupt und trotz erkennbarer nachfolgender Kraftfahrzeuge abbremst. Fährt ein Pkw auf einen vorausfahrenden Pkw auf, dessen Fahrerin bremst, weil ein dritter Pkw unter Verstoß gegen § 10 StVO aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, so haften der Halter des auffahrenden Pkw und der Halter des aus den Grundstück ausfahrenden Pkw je zur Hälfte.
Rz. 1271
Verringert beim Start mehrerer an einer Ampel wartender Kraftfahrzeuge der Vorausfahrende nach einigen Metern wegen eines Missverständnisses über das Ampelsignal seine Geschwindigkeit und fährt der Hintermann deshalb auf, haftet der Auffahrende in vollem Umfang. Die Betriebsgefahr des vorausfahrenden Kraftfahrzeuges tritt zurück. Auch ein Kraftfahrer, der bei grünem Ampellicht anfährt, dann aber unvermittelt bis zum Stillstand abbremst, kann dem Auffahrenden zu vollständigem Schadensersatz verpflichtet sein. Bei einem Auffahrunfall haftet der Vordermann, dessen Fahrzeug eine Bremsspur von 11,3 m auf der Fahrbahn hinterlässt, aus Betriebsgefahr zu 25 %, wenn er den Grund für das starke Abbremsen nicht beweisen kann.
Rz. 1272
Kommt es zwischen Teilnehmern eines aus zwei Fahrzeugen bestehenden Pkw-Konvois zu einem Auffahrunfall, weil der das Fahrziel allein kennende Vorausfahrende aus einer hohen Ausgangsgeschwindigkeit an einer Stelle abrupt abbremst, an welcher der Nachfolgende mit einer plötzlichen Verzögerung nicht rechnen muss, ist eine hälftige Haftung angemessen. Stürzt ein vorausfahrender Motorradfahrer am Ausgang einer scharfen Kurve und kommt der nachfolgende Motorradfahrer bei der hierd...