Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1231
§ 10 S. 1, 2 StVO erlegt demjenigen, der von einem außerhalb der Fahrbahn gelegenen Bereich in die Fahrbahn einfahren oder vom Rand der Fahrbahn anfahren will, auf, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dabei muss der Ein- bzw. Anfahrende sich erforderlichenfalls einweisen lassen, er muss seine Absicht, einzufahren oder anzufahren, rechtzeitig und deutlich ankündigen und dabei die Fahrtrichtungsanzeiger benutzen.
Rz. 1232
Bei einem Zusammenstoß spricht der Beweis ersten Anscheins für ein Verschulden des Einfahrenden, dessen gesteigerte Sorgfaltspflicht dazu führen kann, dass die Betriebsgefahr des sich im fließenden Verkehr Befindlichen zurücktritt. Für die Anwendung des Anscheinsbeweises ist hingegen kein Raum, wenn ein von einem Grundstück ausfahrendes Fahrzeug, dessen Fahrer über den zwischen Grundstück und Fahrbahn befindlichen Gehweg auf die Fahrbahn einfahren will, auf dem Gehweg mit einem Kraftfahrzeug zusammenstößt, dass diesen unberechtigt (§ 2 Abs. 1 S. 1 StVO) benutzt. Ist ein Verschulden des Einfahrenden festgestellt, kommt dessen Alleinhaftung in Betracht.
Rz. 1233
Ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltsanforderungen beim Anfahren vom Fahrbahnrand wiegt so schwer, dass dahinter regelmäßig die ungesteigerte Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs im fließenden Verkehr zurücktritt. Das gilt selbst bei einer unverschuldeten aber mitursächlichen Fehlreaktion eines im fließenden Verkehr befindlichen Motorradfahrers.
Rz. 1234
Bei der Einfahrt von einem Taxistand in den öffentlichen Verkehr sind die besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO zu beachten. Bei der Kollision eines vom Taxistand kommenden Fahrzeugs mit einem solchen des fließenden Verkehrs haftet der Halter des Taxifahrzeugs allein. Denjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt, trifft die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 10 StVO. Bei einer Kollision mit einem Fahrzeug des fließenden Verkehrs haftet er in der Regel allein. Hat der Bevorrechtigte aber durch Geschwindigkeitsverringerung und Betätigung des rechten Fahrtrichtungsanzeigers den Anschein erweckt, nach rechts abzubiegen, kommt seine Mithaftung im Umfang von 40 % in Betracht.
Rz. 1235
Stößt ein von einem Grundstück auf eine Straße einfahrendes Fahrzeug mit einem Fahrzeug zusammen, dass unter Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot die linke Straßenseite benutzt, indiziert die Verletzung des Vorfahrtsrechts das Verschulden des Einfahrenden. Das Vorfahrtsrecht der auf der Straße fahrenden Fahrzeuge gegenüber einem auf eine Straße Einfahrenden gilt grundsätzlich für die gesamte Fahrbahn. Der aus einem Grundstück kommende Fahrzeugführer hat sich grundsätzlich darauf einzustellen, dass der ihm gegenüber Vorfahrtsberechtigte von seinem Recht Gebrauch macht.
Rz. 1236
Verstößt ein bevorrechtigter Pkw-Fahrer in der Dunkelheit gegen das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 StVO und prallt der Pkw gegen ein schwerfälliges, seitlich unbeleuchtetes Lkw-Gespann, das aus einer Grundstücksausfahrt auf eine Landstraße einbiegt, dann kann den Pkw-Fahrer eine Mitverantwortlichkeit von 25 % treffen.