Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 215
Der Beweis des ersten Anscheins ist von der Rechtsprechung bei zahlreichen Fallgestaltungen in Betracht gezogen worden. Hier können wegen der Fülle der Rechtsprechung zum Anscheinsbeweis nur die wichtigsten, auch für das Unfallhaftpflichtrecht bedeutsamen, angesprochen werden.
aa) Brandursachen
Rz. 216
Das Hantieren mit offenem Feuer z.B. in einer mit Stroh, Heu etc. gefüllten Feldscheune stellt unzweifelhaft ein gefahrträchtiges Tun dar, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, die Entstehung eines Brandes herbeizuführen. Gibt es keine Anhaltspunkte für andere Brandursachen oder sind diese nicht beweisbar, beschränkt sich der vom Anspruchsteller vorzutragende typische Lebenssachverhalt darauf, dass es nach dem Hantieren mit einem feuergefährlichen Gegenstand in einer extrem brandgefährdeten Umgebung zur Entwicklung offenen Feuers gekommen ist, in unmittelbarer zeitlicher Folge ein Brand ausgebrochen ist und konkrete Anhaltspunkte für eine andere Brandursache fehlen. Es obliegt dann dem in Anspruch Genommenen, Umstände vorzutragen und zu beweisen, die den Anschein entkräften. Wenn ein Dachdecker nicht dafür sorgt, dass heiße Bitumentropfen nicht auf den leicht entflammbaren Dämmstoff tropfen können, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein in zeitlichem Zusammenhang mit den Arbeiten ausgebrochener Brand auf die Arbeiten zurückzuführen ist. Allerdings müssen die Grundlagen, auf denen der Anscheinsbeweis aufbaut, feststehen. Die bloße Behauptung, vor dem Brand einer Produktionshalle hätten Beschäftigte dort unzulässigerweise geraucht, reicht nicht aus, selbst die Ausführungen des Sachverständigen einer Brandversicherung sind unzureichend, wenn er nur feststellt, dass von personenbezogenem Handeln auszugehen sei, er die Zündquelle aber nicht bestimmen kann. Eine vorsätzliche Brandstiftung durch den Versicherungsnehmer kann evtl. im Wege des Indizienbeweises bewiesen werden.
bb) Verkehrsunfälle
Rz. 217
Linksabbieger kollidiert mit Gegenverkehr. In der Regel haftet der Linksabbieger, wenn er seiner Wartepflicht nicht genügt und es deshalb zu einem Unfall kommt, sofern keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen, weil an eine Verletzung des Vorfahrtrechts des geradeaus Fahrenden durch den Linksabbieger ein schwerer Schuldvorwurf anknüpft, wobei für das Verschulden des Abbiegenden der Anscheinsbeweis spricht. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass der Linksabbieger die ihn nach § 9 Abs. 1 StVO treffenden Pflichten nicht erfüllt hat, wenn er mit einem ihn links überholenden Fahrzeug kollidiert.
Rz. 218
Ist ein Kreuzungsbereich mit Ampeln sowohl für den geradeaus fahrenden als auch für den abbiegenden Verkehr versehen, kann ein Anscheinsbeweis ausscheiden, wenn die Unfallgegner darüber streiten, wer von ihnen bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist und wer das für ihn geltende Rotlicht missachtet hat.
Rz. 219
Häufig spricht beim Auffahrunfall der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden. Wer im Straßenverkehr auf den Vorausfahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Gegen denjenigen, der bei Dunkelheit auf ein verunfalltes Fahrzeug auffährt, spricht der Anscheinsbeweis dahin, dass er zu schnell gefahren ist oder verspätet reagiert hat. Wer auffährt, hat aber keineswegs "immer Schuld". Der Anscheinsbeweis kann dadurch erschüttert werden, dass ein atypischer Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Lichte erscheinen lässt, von dem Auffahrenden dargelegt und bewiesen wird. So kann etwa der Nachweis erbracht werden, dass ein Fahrzeug vorausfuhr, das geeignet war, dem Nachfahrenden die Sicht auf ...