Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 274
Wer einen Verkehr eröffnet, muss die Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung daraus entstehender Gefahren notwendig sind. Diese Fallgruppe überschneidet sich weitgehend mit der Bereichshaftung. Haftungsbegründend sind die faktische Verantwortungsübernahme für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und der Schutz der Erwartungen, die in denjenigen gesetzt werden, der den Verkehr eröffnet. Der Zweck der Verkehrseröffnung und sich aus ihr ergebende besondere Gefahren können den Umfang der Verkehrssicherungspflicht beeinflussen. Wer sein Grundstück ohne Einschränkung dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stellt, trägt für den gesamten unbebauten Bereich die Verkehrssicherungspflicht, wenn er den Zugang nicht in zeitlicher oder örtlicher Hinsicht beispielsweise durch Absperrungen oder Hinweisschilder beschränkt.
Rz. 275
Gegenüber Personen, die sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben, besteht grds. keine Verkehrssicherungspflicht. Das gilt insbesondere, wenn sich eine untypische Gefahr verwirklicht, die gegenüber einem Befugten nicht eingetreten wäre. Allerdings besteht die Verkehrssicherungspflicht auch bei einer bestimmungswidrigen, aber naheliegenden Nutzung. So muss in Gaststätten die Tür, hinter der eine Treppe nach unten führt, auch dann verschlossen werden, wenn Gäste diese Treppe gar nicht benutzen sollen, aber damit gerechnet werden muss, dass sie infolge Alkoholgenusses, Unaufmerksamkeit oder Neugier die Treppe doch betreten. Eine Verkehrssicherungspflicht besteht auch gegenüber Unbefugten, wenn im Bereich des Verkehrssicherungspflichtigen außerordentliche Gefahren lauern oder wenn erfahrungsgemäß mit einem Fehlverhalten Dritter zu rechnen ist. Je mehr der betreffende Bereich Unbefugte anzieht, umso mehr muss ihr Schutz berücksichtigt werden. Dies kann bei einer Baustelle von archäologischem Interesse der Fall sein.
Rz. 276
Gegenüber Kindern (und Jugendlichen) gelten besondere Grundsätze. Halten sie sich erlaubt im Gefahrbereich auf, so müssen angesichts ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit umfassende Sicherungen geschaffen werden. Bei Kindern ist auch damit zu rechnen, dass sie unbefugt den Gefahrenbereich betreten. Ist dem Verkehrssicherungspflichtigen bekannt oder muss er damit rechnen, dass sich Kinder im Gefahrenbereich oder in dessen Nähe aufhalten oder gar von ihm angelockt werden, so muss er ausreichende Maßnahmen für deren Sicherheit treffen. Da Kinder und Jugendliche Vorschriften und Anordnungen oftmals nicht beachten und sich unbesonnen verhalten, kann die Verkehrssicherungspflicht auch die Vorbeugung gegenüber solchem missbräuchlichen Verhalten umfassen.
Allerdings darf sich der Verkehrssicherungspflichtige in gewissem Umfang darauf verlassen, dass die für ein Kind Verantwortlichen ein Mindestmaß an sorgfältiger Beaufsichtigung wahrnehmen. Das Vertrauen, das ein Grundstückseigentümer in der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht durch die dafür Verantwortlichen setzen kann, wirkt zurück auf seine Sicherungspflichten. Denn Art und Umfang der Verkehrssicherungspflichten bestimmen sich nicht nur nach der Intensität der Gefahr, sondern auch nach den Sicherungserwartungen des Verkehrs. Werden Gefahren für Kinder durch die gebotene Beaufsichtigung von dritter Seite gewissermaßen neutralisiert, so reduzieren sich entsprechend auch die Sicherungserwartungen an den Grundstückseigentümer, der auf eine solche Beaufsichtigung vertrauen darf. Bei einer Pflichtverletzung in Ausübung der elterlichen Sorge enthält § 1664 Abs. 1 BGB eine Anspruchsgrundlage. Daneben kann eine Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB auch durch Verletzung einer (familienrechtlich begründeten) Obhutspflicht begangen werden.