Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 123
Die Rechtswidrigkeit ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das zur Verletzung eines absoluten Rechtsguts führende Handeln sozialadäquat ist.
Rz. 124
Die nachbarrechtlichen Vorschriften (z.B. § 906 BGB) sind in dem davon erfassten Regelungsbereich maßgebend dafür, ob eine widerrechtliche Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorliegt. Ob im Einzelfall nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche bestehen, ist keine Frage des Deliktsrechts. Nach der Rechtsprechung ist § 906 BGB auch bei der Beurteilung heranzuziehen, ob die Eigentümer beweglicher Sachen wegen deren Beschädigung durch von einem Grundstück ausgehende Emissionen den Verursacher deliktisch auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können.
Rz. 125
Auch die naturschutzrechtlichen Bestimmungen grenzen den rechtmäßigen vom rechtswidrigen Gebrauch eines Grundstücks ab und bestimmen deshalb gleichzeitig den Anwendungsbereich der §§ 823 ff. BGB. Besteht ein generelles naturschutzrechtliches Verbot, Laubfröschen einer besonders geschützten Art nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen, zu töten oder ihre Entwicklungsformen, Nist-, Brut-,Wohn- und Zufluchtsstätten der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, ist die Einwirkung auf ein Nachbargrundstück, die sich durch den Lärm solcher Frösche ergibt, nicht rechtswidrig, solange nicht eine behördliche Ausnahmegenehmigung erteilt ist.
Rz. 126
Öffentlich-rechtliche Genehmigungen schließen die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme nur aus, wenn die privatrechtliche Gestaltungswirkung gesetzlich angeordnet ist. Ein typisches Beispiel ist die Baugenehmigung, die entsprechend den Regelungen der Bauordnungen der Länder sogar ausdrücklich "unbeschadet der privaten Rechte Dritter" erteilt wird. Ein Gegenbeispiel ist etwa die Regelung des § 14 BImSchG. Danach sind die privatrechtlichen Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes Grundstück eingeschränkt, wenn der Betrieb der schädlichen Anlage unanfechtbar genehmigt ist. Allerdings belässt die Vorschrift dem Nachbarn das Recht, Vorkehrungen gegen die Emissionen und eventuell Schadensersatz zu verlangen.
Rz. 127
Selbstverständlich können öffentlich-rechtliche Eingriffsbefugnisse ein schädigendes Handeln rechtfertigen. Es ist aber stets sorgfältig zu prüfen, ob eine Rechtsgrundlage besteht und wie weit sie reicht. Im gesetzlichen Rahmen sind etwa Maßnahmen nach der StPO (etwa Feststellungen gemäß § 81b StPO) und nach den Polizeigesetzen der Länder rechtmäßig. Hinsichtlich des Schusswaffengebrauchs wird häufig Notwehr vorliegen. Ansonsten ist meist das Ordnungs- bzw. Polizeirecht des betreffenden Landes einschlägig. Die strengen Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs sind für ein rechtmäßiges Handeln strikt einzuhalten. Die entsprechenden Gesetze sehen Entschädigungen für von den Maßnahmen betroffene Unbeteiligte vor. Bei unrechtmäßigem Handeln können Ansprüche der Geschädigten aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bestehen.
Rz. 128
Die Einwilligung in eine Rechtsverletzung kann die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließen. Eine große Rolle spielt die Einwilligung in Arzthaftungsfällen, da nach herkömmlicher Auffassung ärztliches Handeln, auch wenn es als Heileingriff erfolgt, tatbestandsmäßig eine Körperverletzung darstellt, in deren – vorsätzliche – Vornahme der Patient einwilligen muss. Die dort geltenden Grundsätze können auch bei nicht ärztlichen Eingriffen in Betracht gezogen werden (z.B. Piercing, Tätowierung, nicht von einem Arzt durchgeführte Beschneidung). Die aus dem Arzthaftungsrecht bekannte Pflicht zur Aufklärung als Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung kann auch in anderen Lebensbereichen bestehen.
Rz. 129
Auch sonst kann derjenige, der ein absolutes Recht beeinträchtigt, genötigt sein, eine Einwilligung des Geschädigten zu beweisen. Verletzungen beim Sport oder bei gefährlichen Unternehmungen sind in der Regel nicht durch eine Einwilligung des Verletzten gerechtfertigt (vgl. dazu näher unten Rdn 134 ff.).
Rz. 130
Zu beachten ist, dass eine Einwilligung nicht immer die Rechtswidrigkeit beseitigt. Nach § 228 StGB handelt, wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Nicht die Einwilligung, sondern die Tat muss sittenwidrig sein. Sittenwidrigkeit kann etwa anzunehmen sein, wenn Jugendbanden oder Hooligans ("Dritte Halbzeit") verabreden, sich zu schlagen. Denn die typischerweise bei derartigen Verabredungen eintretenden gruppendynamischen Prozesse sind generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden, dass die Grenze der Sittenwidrigkeit überschritten ist. Die Einwilligung in die eigene Tötung stellt ohnehin keinen Rechtfertigungsgrund dar (vgl. § 216 StGB). Aber auch die Einwilligung in eine Körperverletzungshandlung wirkt...