Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1237
Nach § 8 Abs. 1 StVO hat die Vorfahrt, wer an Kreuzungen und Einmündungen von rechts kommt. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Vorfahrt durch besondere Verkehrszeichen geregelt ist oder für ein Fahrzeug, das von einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommt. Nach § 8 Abs. 2 StVO muss derjenige, der die Vorfahrt zu beachten hat, rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass gewartet wird. Er darf nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, dass der Vorfahrtsberechtigte weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Kann er dies nicht, darf sich der Wartepflichtige vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineintasten, bis die Übersicht gegeben ist. Wer die Vorfahrt hat, darf auch beim Abbiegen in die andere Straße nicht wesentlich durch den Wartepflichtigen behindert werden.
Rz. 1238
Wer bevorrechtigt ist, muss sich bei einer Missachtung seines Vorranges regelmäßig die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeuges nicht anrechnen lassen, es sei denn, auf seiner Seite wirken bei der Schadensentstehung gefahrerhöhende Umstände mit. Dies gilt an vorfahrtsgeregelten Kreuzungen, bei der Regelung durch Lichtzeichenanlagen und auch in den Fällen des § 8 StVO. Abstufungen können bei gewichtigen Verkehrsverstößen des vorrangigen Fahrzeugführers in Betracht kommen.
Rz. 1239
Die Verletzung des Vorfahrtrechts durch den in eine Straße Einfahrenden indiziert sein Verschulden. Verletzt der Einfahrende das Vorfahrtrecht des fließenden Verkehrs und führt dies zu einem Unfall, dann hat er in der Regel in vollem Umfang oder doch zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften. Der Verursachungsanteil des Bevorrechtigten kann selbst dann vollständig zurücktreten, wenn er gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hat.
Rz. 1240
Ein Fahrer, der dem Verlauf einer nach links abknickenden Vorfahrtsstraße nicht folgt, sondern geradeaus weiterfährt, hat in dem gesamten Kreuzungsbereich die Vorfahrt gegenüber dem von rechts kommenden Verkehr. Eine Markierung des Verlaufs des bevorrechtigten Straßenzugs auf der Kreuzung durch eine rechtsseitig verlaufende bogenförmige unterbrochene weiße Linie ändert nichts am Umfang der Vorfahrtsberechtigung.
Rz. 1241
Ein Vorfahrtberechtigter, der davon ausgehen muss, dass sein Vorfahrtsrecht von einem anderen Verkehrsteilnehmer aufgrund der örtlichen Gegebenheiten möglicherweise nicht erkannt wird, ist zu besonderer Vorsicht und Rücksichtnahme verpflichtet. Er muss seine Fahrweise auf die Möglichkeit einer Vorfahrtsverletzung durch den anderen Verkehrsteilnehmer einstellen. Kommt es zum Unfall, ist nicht in jedem Fall davon auszugehen, dass der Verursachungsteil desjenigen, der das Vorfahrtsrecht verletzt hat, denjenigen des Bevorrechtigten überwiegt.
Rz. 1242
Der Wartepflichtige muss häufig damit rechnen, dass ein Vorfahrtsberechtigter einen Verkehrsverstoß begeht, insbesondere das Rechtsfahrgebot nicht beachtet. Dieser Verstoß begründet nicht ohne weiteres ein Mitverschulden des Vorfahrtsberechtigten, kann aber die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges erhöhen und, je nach den weiteren Umständen, z.B: zu einem Verursacherbeitrag von 20 % oder 25 % führen, weil die Missachtung des Rechtsfahrgebotes die Gefahr einer Kreuzungskollision erhöht.
Rz. 1243
Bei einem Rotlichtverstoß haftet der Wartepflichtige in der Regel voll. Bei ungeklärter Sachlage kommt eine Haftungsverteilung im Verhältnis 1:1 in Betracht. Die Haftungsverteilung von 2:1 zum Nachteil des bevorrechtigten Fahrzeuges ist angemessen, wenn eine Fußgängerampel bei Rot überfahren wird, der untergeordnete Querverkehr aber die Beachtung dieser Ampel in Rechnung stellt. Wer sich bei Grün einer aus seiner Sicht freien Kreuzung nähert und in sie einfährt, nachdem die Ampel für ihn bereits vier bis fünf Sekunden Grün gezeigt hat, braucht mit verbotswidrigem Querverkehr nicht mehr zu rechnen; die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges kann zurücktreten. Fährt ein Kraftfahrer beim Umschalten von Grün auf Gelb in eine weitläufige, unübersichtliche Kreuzung mit getrennten Richtungsfahrstreifen ein, muss er insbesondere auf den Querverkehr achten und mit Anhaltebereitschaft fahren. Er haftet zu einem Drittel mit, wenn ein Teilnehmer des Querverkehrs unter Missachtung des Nachzüglervorranges mit fliegendem Start in die Kreuzung einfährt.
Rz. 1244
Muss der Berechtigte seinerseits die Vorfahrt beachten und handelt es sich um eine unübersichtliche Kreuzung, dann kommt die Anrechnung der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges in Betracht. Demgegenüber kommt die volle Haftung des Wartepflichtigen in Betracht, wenn der Berechtigte auf die Beachtung seiner Vorfahrt vertrauen darf. Die Pflicht, bei nur halber Vorfahrt und schlechter Sicht nach rechts die Geschwindigkeit herabzusetzen, dient auch dem Schutz des sich von links der Kreuzung nähernden Wartepflichtigen; Haftungsverteilung unter Berücksichtigung einer Geschwindigkeitsübersc...