Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 312
Grundvoraussetzung für die winterliche Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen. Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls. Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Der Anlieger hat seine Grundstücksfläche so zu reinigen – insbesondere im Herbst von Laub und im Winter von Schnee und Eis zu befreien –, dass einer Gefährdung Dritter entgegengewirkt wird. Die Streupflicht gebietet nicht, die Wege bei eintretender Winterglätte so zu bestreuen, dass ein Verkehrsteilnehmer überhaupt nicht ausrutschen kann. Durch das Streuen muss es den Verkehrsteilnehmern jedoch ermöglicht werden, das Grundstück und den Gehweg zum Eingang des Hauses ohne Gefahr zu benutzen, wenn auch er die erforderliche Sorgfalt anwendet. Diese Beschränkung der Streupflicht auf das zumutbare Maß führt dazu, dass bei trockenem Wetter keine fortlaufende Beseitigung bloßer Tropfeisbildung verlangt werden kann. Das Abtropfen oder Abrinnen von Tauwasser sind typisch winterliche Erscheinungen, auf die sich jeder Fußgänger bei der im Winter üblichen Sorgfalt einstellen kann und muss. Je nach Wetterlage kann es erforderlich sein, tagsüber die Räumungs- und Streuarbeiten zu wiederholen, wenn das Streugut seine Wirkung verloren hat. Bei Grundstücken mit starkem Besucherverkehr ist die Verkehrssicherungspflicht gesteigert. Bei Kinos, Gaststätten, Sportstätten, Theatern und Autobahnraststätten sind die Gehwege, die zu den Gebäuden führen, zu streuen. Dies kann zu der Verpflichtung führen, auch nachts zu streuen.
Rz. 313
Eine Streupflicht entfällt dann, wenn extreme Witterungsverhältnisse dazu führen, dass sich alle Streumaßnahmen als wirkungslos erweisen. Eine Streupflicht ist deshalb bei anhaltendem Schneefall zu verneinen. Hört es auf zu schneien, setzt die Streupflicht erst nach einer angemessenen Wartezeit ein, in der der Verkehrssicherungspflichtige prüfen kann, ob der Schneefall nur vorübergehend unterbrochen oder tatsächlich beendet ist. Außerdem ist ihm eine angemessene Frist zur Erfüllung seiner Räum- und Streupflicht zuzubilligen. Die Streupflicht entfällt ferner bei Glatteisbildung durch anhaltenden Regen auf zuvor gefrorenem Boden.
Rz. 314
Die Räum- und Streupflichten bestehen regelmäßig zur Gewährleistung eines sicheren Hauptberufsverkehrs und an Feiertagen nur für die Zeit des normalen Tagesverkehrs in der Zeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Fehlt es an einer entsprechenden Regelung in der Ortssatzung, dann beginnt die Räum- und Streupflicht nach der Rechtsprechung ebenfalls am Morgen mit dem aufkommenden Berufsverkehr um 7 Uhr und endet am Abend gegen 20 Uhr. An Sonn- und Feiertagen besteht sie in der Regel ab 9 Uhr. Vorbeugendes Streuen zur Verhinderung von Glättebildung an bestimmten Stellen auch in den Nachtstunden ist aber ausnahmsweise dann erforderlich, wenn mit einem entsprechenden Verkehr gerechnet werden muss.
Rz. 315
Wer wegen Alters oder Krankheit seiner Streupflicht nicht nachkommen kann, muss rechtzeitig dafür sorgen, dass eine andere Person seine Verpflichtung übernimmt.