Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 710
Nach dem bisher dargestellten Haftungssystem müsste sich der wegen einer schädigenden Handlung eines Mitarbeiters in Anspruch genommene Inhaber eines größeren Betriebs für sämtliche Mitarbeiter exkulpieren, die als Schädiger in Betracht kommen, um sich nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zu entlasten. Dass dies in vielen Fällen praktisch unmöglich sein wird, hat bereits das Reichsgericht erkannt. Es ist dem Unternehmensinhaber insoweit entgegengekommen, dass es annahm, bei Nachweis eines großen industriellen Betriebes oder einer sonstigen großen Verwaltung könne der Geschäftsherr die Auswahl und Überwachung an einen Angestellten "höherer Ordnung" übertragen. Nur bezüglich dieses Angestellten, nicht aber hinsichtlich des die schädigende Handlung vornehmenden Verrichtungsgehilfen müsse sich der Geschäftsherr dann entlasten (sog. dezentralisierter Entlastungsbeweis). Der BGH hat diese Rechtsprechung zunächst fortgeführt, ist dann in der Folge aber davon abgerückt. Eine endgültige Aufgabe dieser Rechtsprechung hat der BGH bislang nicht erklärt.
Die Konstruktion eines dezentralisierten Entlastungsbeweises hat Kritik erfahren; insbesondere wird bemängelt, dass sie zu einer Besserstellung größerer, gut organisierter Unternehmen führe. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Geschäftsherr gehalten ist, die allgemeinen Aufsichtsanweisungen selbst zu treffen. Diese Pflicht zur allgemeinen Oberaufsicht darf er auch einem sorgfältig ausgewählten leitenden Angestellten nicht mit der Folge überlassen, selbst der Haftung zu entgehen. Ob der dezentralisierte Entlastungsbeweis ganz aufzugeben ist, kann hier offen bleiben. Denn der Geschäftsherr muss in solchen Fällen, in denen ihm die Betriebsgröße und -organisation die eigene Auswahltätigkeit hinsichtlich der niederen Angestellten unmöglich macht und diese einem Angestellten höherer Ordnung übertragen werden muss, die gegen ihn sprechende Vermutung eines Organisationsverschuldens entkräften.
Hierzu ist etwa der Beleg ausreichender konkreter Aufsichtsanweisungen der Unternehmensleitung für den Fall des Ersatzes bei Ausfall hinreichend ausgebildeter Angestellter erforderlich, die sich bei besonders hoher Gefährdungsmöglichkeit darauf erstrecken müssen, wer von den Betriebsangehörigen als Ersatzmann geeignet war und eingesetzt werden sollte, sowie welche zusätzlichen Sicherungs- und Überwachungsmaßnahmen vorzunehmen waren. Ist der Geschäftsherr eine juristische Person, wird ihr das Verschulden ihrer Organe nach § 31 BGB zugerechnet, ohne dass eine Exkulpationsmöglichkeit besteht, wenn die schuldhafte Verletzung allgemeiner Überwachungs- und Organisationspflichten zu einer Rechtsgutsverletzung geführt haben.