Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 1042
Zugunsten des Fußgängerverkehrs gelten innerhalb geschlossener Ortslagen strengere Anforderungen an den Winterdienst als gegenüber dem Fahrzeugverkehr. Das beruht nicht zuletzt auf der Vorstellung, dass gerade bei winterlichen Verhältnissen durch Schnee und Eis ein unentbehrliches Verkehrsbedürfnis für Fußgänger verbleibt, um die besonders notwendigen Alltagsgeschäfte zu verrichten. Dennoch gilt auch gegenüber Fußgängern der Maßstab des Notwendigen und Zumutbaren der vom Sicherungspflichtigen zu erfüllenden Maßnahmen. Völlige Gefahrlosigkeit kann auch der Fußgänger nicht erwarten; auch er muss sich in erster Linie durch erhöhte Sorgfalt selbst den winterlichen Gefahren anpassen, beispielsweise geeignetes Schuhwerk tragen und diejenigen Stellen wählen, die am sichersten sind. Auch Lücken, die beim Abstreuen von Verkehrsflächen zwangsläufig entstehen, hat er hinzunehmen. Daraus ergibt sich, dass der Pflichtige durch Räumen und das Abstreuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren beseitigen muss, die infolge winterlicher Glätte für den Fußgängerverkehr trotz Anwendung der erhöhten Eigensorgfalt verbleiben. Die Streupflicht wird erst ausgelöst, wenn sich eine allgemeine Glättebildung einstellt; nur vereinzelte Glättestellen müssen im Grundsatz weder für den Fahrverkehr noch für Fußgänger abgestreut werden.
Rz. 1043
Innerhalb geschlossener Ortslagen sind diejenigen Gehwege winterdienstlich zu bearbeiten, auf denen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet. Dazu zählen die Bürgersteige entlang der Straße bei verdichteter Bebauung. Weisen Gehwege besonders gefährliche Stellen aus, etwa durch abfließendes, gefrierendes Wasser bei Quergefälle, müssen besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden. Ausreichend ist es, einen Streifen von ca. einem Meter zu sichern, der es gestattet, dass Fußgänger einander passieren können; am Rand des Gehwegs muss nicht gestreut werden. Ist nur auf einer Seite ein Gehweg vorhanden, genügt dessen Sicherung; auf der anderen Straßenseite muss dann kein Streifen auf der Fahrbahn für Fußgänger gestreut werden. Fußgänger müssen die Straßenseite wechseln, wenn erkennbar nur auf einer Seite der Winterdienst ausgeführt wurde; es fehlt an schon an einer haftungsbegründenden Pflichtverletzung, wenn der gestreute Gehweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite ohne großen Umweg auf einem gestreuten Überweg über die Fahrbahn zu erreichen ist. Generell gilt, dass Fußgänger zumutbare Umwege in Kauf nehmen müssen, weshalb auch Wege, die der Abkürzung dienen, nicht abgestreut werden müssen. Ist kein abgegrenzter Gehweg oder Bürgersteig vorhanden, hat die Kommune einen Streifen in der Breite von ca. einem Meter auf der Fahrbahn für den Fußgängerverkehr zu streuen.
Rz. 1044
Bei besonders extremen Wetterlagen – z.B. starker, anhaltender Schneefall bei tiefen Temperaturen, gefrierender Eisregen – besteht keine Streupflicht, da wirkungslose Sicherungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht geschuldet sind und überdies die Erfüllung der Streupflicht mit einer nicht zumutbaren Eigengefährdung des Pflichtigen verbunden wäre. Wird ein durchgeführtes Räumen und Streuen wirkungslos, weil weitere Niederschläge fallen, müssen Streudurchgänge wiederholt werden.
Rz. 1045
Fußgänger können nicht erwarten, dass ihrem, gegenüber dem Fahrzeugverkehr erhöhten Sicherungsbedürfnis auch auf der Fahrbahn Rechnung getragen wird. Eine Ausnahme gilt an belebten und unentbehrlichen Überwegen, markierten Fußgängerüberwegen und notwendigen Verbindungen, die bei erheblichem Verkehrsaufkommen für Fußgänger abzustreuen sind. Als unentbehrliche Überwege betrachtet der BGH freizuräumende Zugangsmöglichkeiten, um etwa dem Gehweg gegenüberliegende Geschäfte, eine Bushaltestelle oder einen öffentlichen Parkplatz erreichen zu können, wenn zuvor ein Räumfahrzeug einen Schneewall aufgeschoben hat. Insbesondere an vorgenannten Stellen kann auch wiederholtes Streuen geboten sein. Die zeitliche Folge der Streuvorgänge richtet sich nach der genannten Entscheidung des BGH auch nach der Auswahl der Streumittel. Ob und wann ein wiederholtes Abstreuen geboten ist, kann von der zumutbaren Möglichkeit abhängen, die Langzeitwirkung des Streuguts durch die Wahl geeigneter Mittel zu verbessern. Ist eine Wiederholung des Abstreuens witterungsbedingt erforderlich, wird allerdings Fußgängerüberwegen kein Vorrang einzuräumen sein, vielmehr sind neben Fußgängerüberwegen auch alle anderen verkehrswichtigen und glättegefährdeten Wegeflächen gleichermaßen zu bedienen.
Rz. 1046
Für Gehwege und kombinierte Geh- und Radwege außerhalb geschlossener Ortslagen besteht eine Streupflicht nur ganz ausnahmsweise. Dies liegt zum einen darin begründet, dass bei unwirtlichen winterlichen Wetterverhältnissen das Fußgängeraufkommen außerhalb geschlossener Ortschaften im Regelfalle sehr gering sein wird, und zum anderen daran, dass Fußgänger, wenn und soweit die Fahrbahn selbst gestreut bzw...