Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 713
§ 832 BGB
(1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.
(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt.
I. Gehilfenhaftung
Rz. 714
Die Haftung der Eltern für ihre Kinder gegenüber dritten Personen kann – jenseits des § 832 BGB – nach allgemeinen Vorschriften anzunehmen sein, wenn die Kinder als Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB oder als Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB tätig geworden sind, z.B. wenn der Vater seine Streupflicht vor dem Hause dadurch erledigt, dass er seinen 17-jährigen Sohn mit dem Streuen beauftragt oder die Mutter ihre 16-jährige Tochter auf dem Gasherd kochen lässt. In derartigen Fällen wird bei unrichtiger Ausführung des Auftrags durch das Kind eine den Eltern unmittelbar obliegende Pflicht verletzt. Hier tritt daher die Haftung der Eltern bereits nach den allgemeinen Vorschriften ein.
II. Aufsichtspflicht
Rz. 715
§ 832 Abs. 1 S. 1 BGB ist als Sondertatbestand einer Verkehrspflichtverletzung zu charakterisieren, enthält aber keine Gefährdungshaftung. Ratio legis der Norm ist einerseits die Erkenntnis, dass die aufsichtsbedürftige Person eine Gefahrenquelle darstellt und andererseits die Wertungsentscheidung, dass der Aufsichtspflichtige für deren weitgehende Beherrschung Sorge zu tragen hat, weil er eher als der Geschädigte in der Lage ist, auf die betreffende Person grundsätzlich und auch im Einzelfall einzuwirken. Die in der Vorauflage geäußerten Bedenken gegen die aus dem Gesetz folgende Vermutungswirkung werden hier nicht geteilt, zumal es die Aufsichtspflichtigen in der Hand haben, sich durch Abschluss einer Haftpflichtversicherung abzusichern. Allerdings ist ungeachtet der Vermutungswirkung Augenmaß gefragt. Der Richter hat zu berücksichtigen, dass den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten ein gewisser Freiraum für vertretbare pädagogische Maßnahmen gelassen werden muss. Wenn Eltern, um den Kontakt zu dem Kind und ihre Einflussmöglichkeit nicht zu verlieren, keine allzu große Strenge walten zu lassen und nicht auf strikter Einhaltung elterlicher Weisungen oder Empfehlungen bestehen, kann dies im Rahmen einer sachgerechten oder zumindest vertretbaren Erziehung durchaus angebracht sein, zumal Maßnahmen, die voraussehbar erfolglos sein werden, kontraproduktiv sind.
Rz. 716
Der Wortlaut der Norm spiegelt die Tatbestandsvoraussetzungen nur unzureichend wider. Vorausgesetzt wird zunächst das Bestehen einer Aufsichtspflicht gegenüber einer aufsichtsbedürftigen Person und sodann ein einem Dritten widerrechtlich zugefügter Schaden, wobei der Aufsichtspflichtige nicht notwendig schuldhaft gehandelt, wohl aber durch die Schadenszufügung den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt haben muss. Vermutet wird sodann eine Verletzung der Aufsichtspflicht sowie die Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden und ein Verschulden des Aufsichtspflichtigen; dem Aufsichtspflichtigen obliegt der Beweis, dass die Aufsichtspflicht gewahrt war oder dass trotz gehöriger Aufsicht der Schaden eingetreten wäre. Eine Erstreckung der Norm auf andere vermeintliche Aufsichtsverhältnisse ist abzulehnen. § 832 BGB gilt auch nicht für den Fall, dass der Aufsichtsbedürftige durch den Aufsichtspflichtigen geschädigt wird; insoweit bestehen Ersatzansprüche aufgrund der allgemeinen Vorschriften.
Rz. 717
Die Haftungsvoraussetzungen sind in § 832 BGB erschöpfend geregelt. Es handelt sich nicht um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, so dass auf diesem Umweg weitergehende Ansprüche nicht begründet werden können. Der Aufsichtspflichtige kann allerdings nach den allgemeinen Vorschriften haften, wenn er durch eine eigene positive Handlung oder Unterlassung, die über die Verletzung der Aufsichtspflicht hinausgeht, zur Schadensverursachung beiträgt. Eine etwaige eigene Haftung des Aufsichtsbedürftigen nach § 823 BGB tritt gesamtschuldnerisch (§ 840 Abs. 1 BGB) neben die Haftung des Aufsichtspflichtigen, wobei nach § 840 Abs. 2 BGB im Innenverhältnis der Aufsichtsbedürftige allein verpflichtet ist.
Rz. 718
Minderjährige bedürfen bereits aufgrund der Minderjährigkeit grundsätzlich der Aufsicht. Volljährige sind grundsätzlich nicht mehr aufsichtsbedürftig, es sei denn, sie bedürfen aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung ausnahmsweise der Beaufsichtigung. Aufsichtspflichtig sind die Inhaber des Personensorgerechts. Das sind bei (ehelichen und nichtehelichen) Kindern die Eltern und zwar gemeinsam oder einzeln gemäß den §§ 1626, 1626a, 1671 ff. BGB. Für minderjährige K...