Rz. 55

§ 823 BGB schützt das Recht des geborenen Menschen auf körperliche Unversehrtheit und auf Gesundheit. Dem im Verletzungszeitpunkt noch nicht geborenen Menschen stehen dieselben Rechte auf Schadensersatz zu wie dem, der erst mit oder nach der Vollendung der Geburt verletzt worden ist. Nach ­richtiger Auffassung ist ein Recht der Leibesfrucht auf Unversehrtheit und auf Gesundheit anzuerkennen.[95] Aber auch wenn man dem nicht folgt, gilt, dass § 823 BGB auch dann anzuwenden ist, wenn die Verletzung schon der Leibesfrucht zugefügt wurde, also vor der Existenz des Menschen und vor Beginn seiner Rechtsfähigkeit geschah.[96] Der Ersatzanspruch entsteht allerdings erst mit Vollendung der Geburt. Er entsteht nicht, wenn es nicht zu einer Lebendgeburt kommt oder wenn die Verletzung der Leibesfrucht bis zur Geburt des Kindes ausheilt und ohne Auswirkungen auf die Gesundheit des Neugeborenen bleibt.[97]

 

Rz. 56

Eine haftungsbegründende Handlung, die Schadensersatzansprüche des geborenen Kindes aus § 823 Abs. 1 BGB zur Folge hat, kann sogar schon vor der Erzeugung liegen.[98]

 

Rz. 57

Die Gesundheitsschädigung kann dem Kind über die Mutter physisch vermittelt sein.[99] Der Schädiger haftet dem später mit einem Gesundheitsschaden zur Welt gekommenen Kind auch dann, wenn die Verletzung der Leibesfrucht durch einen Angriff auf die Psyche der Schwangeren vermittelt wird.[100]

 

Rz. 58

Die Frage, ob die Leibesfrucht durch einen Unfall oder eine sonstige Verletzungshandlung überhaupt körperlich in Mitleidenschaft gezogen worden ist, unterliegt dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO. Die anschließende Frage, ob die festgestellte Beeinträchtigung der Leibesfrucht zu weiteren Schädigungen (z.B. Hirnschäden) geführt hat, ist nach dem Beweismaßstab des § 287 ZPO zu beantworten.[101]

 

Rz. 59

Stirbt die Leibesfrucht im Mutterleib infolge einer schädigenden Handlung (oder Unterlassung z.B. eines gebotenen ärztlichen Eingriffs), so kommen Schadensersatzansprüche der Leibesfrucht nicht in Betracht. Allerdings kann eine zum Ersatz verpflichtende Gesundheitsverletzung der Mutter vorliegen.[102]

 

Rz. 60

Zur Arzthaftung nebst den dort geltenden Beweisregeln vgl. unten § 11 Rdn 1 ff.

[95] Stoll, Festschrift für Nipperdey, Band I, 1965, S. 739, 754 ff.
[96] BGHZ 58, 48, 51; 86, 240, 253; 106, 153.
[97] BGHZ 58, 48, 51.
[98] BGHZ 8, 243: Eine Frau wird als Patientin in einem Krankenhaus durch ärztliches Verschulden mit Lues angesteckt und empfängt später ein Kind, das infolge der Infektion der Mutter mit angeborener Lues zur Welt kommt.
[99] BGHZ 58, 48.
[100] BGHZ 93, 351.
[101] BGHZ 58, 48, 53 ff.; 93, 351, 354.

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