Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 603
Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches nach § 829 BGB ("Millionärsparagraph") ist, dass nach der Billigkeit eine Schadloshaltung des Geschädigten erforderlich ist. Erforderlich ist ein "wirtschaftliches Gefälle", was erheblich bessere Vermögensverhältnisse des Schädigers voraussetzt. Von Bedeutung sind Einkünfte aus Erwerbstätigkeit und sonstiges Vermögen. Das Bestehen einer privaten Haftpflichtversicherung, die für die Schadensherbeiführung durch den Schädiger einzustehen hätte, kann von Bedeutung sein. Allein das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung beim deliktsunfähigen Schädiger begründet aber noch keinen Anspruch aus Billigkeitshaftung. Wie oben ausgeführt gibt es Haftpflichtversicherungen, die auch bei fehlender Deliktsfähigkeit des Schädigers eintreten. Ist der Schaden durch eine Versicherung gedeckt, besteht kein Grund für eine Billigkeitshaftung. Es kommt aber für die Frage, ob die Haftung eingreift, nicht nur auf die wirtschaftlichen Gesichtspunkte an. Vielmehr sind sämtliche tatbezogenen Elemente in die Betrachtung einzubeziehen, insbesondere die Gefährlichkeit, die Stoßrichtung des Verhaltens, die Schwere der Verletzung sowie persönliche Elemente wie etwa die Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit, soweit sie vorhanden sind. Die Ansicht, dass ausnahmsweise auch bei fehlendem Vermögensgefälle ein Verschuldens- oder Verursachungsgefälle die Billigkeitshaftung erfordern könne, erscheint erwägenswert. Keinesfalls darf aber die Billigkeitshaftung dazu führen, dass ein nicht Verantwortlicher in weiterem Umfang haftet, als unter den gleichen tatsächlichen Umständen ein voll Verantwortlicher haften würde.
Rz. 604
Wenn die Haftungsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB nicht erfüllt sind, kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht darauf an, ob der Beklagte haftpflichtversichert ist, weil das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsschutzes nicht zur Haftung führt. Der Versicherungsschutz wirkt grundsätzlich nicht anspruchsbegründend. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass sich die Versicherung nach der Haftung und nicht umgekehrt die Haftung nach der Versicherung richtet (Trennungsprinzip).
Rz. 605
Nach Einführung des § 828 Abs. 2 BGB ist in Rechtsstreitigkeiten wieder häufiger der Gedanke einer Haftung aus § 829 BGB ins Gespräch gebracht und darauf hingewiesen worden, der Ausweitung der Deliktsunfähigkeit im Bereich des Straßenverkehrs bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahrs solle bei bestehendem Schutz des schädigenden Kindes durch eine private Haftpflichtversicherung durch Anwendung des § 829 BGB Rechnung getragen werden. Dem ist die Rechtsprechung mit Recht nicht gefolgt. Die vom Gesetzgeber gewollte Freistellung der Kinder darf nicht durch eine verstärkte Anwendung des § 829 BGB unterlaufen werden, auch dann nicht, wenn das Kind durch eine Haftpflichtversicherung geschützt ist.
Rz. 606
Für den Anspruch aus Billigkeitsgründen gemäß § 829 BGB macht der Bundesgerichtshof aber eine Ausnahme, wenn für den Schädiger eine Pflichtversicherung eintritt. Der Zweck der Kfz-Pflichtversicherung ist in erster Linie auf den Schutz des Geschädigten ausgerichtet. Dieser auf den Opferschutz gerichtete Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung muss sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs für den besonderen Anspruch aus § 829 BGB gegenüber dem Trennungsprinzip durchsetzen.