Rz. 138

Nach § 276 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, ­insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist, wobei die Vorschriften der §§ 827 und 828 BGB entsprechende Anwendung finden. Es ist also im Einzelfall zu prüfen, ob eine Haftungsverschärfung oder Haftungsmilderung in Betracht kommt. Haftungsmilderungen bestehen etwa im Verhältnis zwischen Ehegatten (§ 1359 BGB) oder zwischen Eltern und Kindern (§ 1664 BGB) sowie für Gesellschafter (§ 708 BGB). Insoweit haben die Betroffenen nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Auf Schadensfälle im Straßenverkehr wendet die Rechtsprechung diesen Sorgfaltsmaßstab allerdings mit Recht nicht an, weil der Straßenverkehr keinen Spielraum für individuelle Sorgfalt erlaubt.[286] Entsprechendes soll für Unfälle beim Betrieb motorgetriebener Wasserfahrzeuge beim Wasserski ­gelten.[287]

[286] BGHZ 46, 313, 317 f.; 53, 352, 355 f.

1. Vorsatz

 

Rz. 139

Vorsatz kann als "Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung" beschrieben werden, also als Wille zur Verwirklichung eines (Straf- oder Haftungs-)Tatbestands in Kenntnis aller seiner Tatumstände.[288] Er muss sich in der Regel nur auf den Haftungstatbestand beziehen, nicht auf den Schaden, doch bestehen Ausnahmen, bei denen sich der Vorsatz auch auf die Schadensfolgen beziehen muss, z.B. bei § 826 BGB, bei der Arbeitnehmerhaftung,[289] bei den §§ 104, 105 SGB VII[290] und auch bei § 103 VVG, Ziff. 7.1 AHB 2008.[291] Vorsätzlich handelt, wer das rechtlich geschützte Interesse eines anderen bewusst und gewollt verletzt, wobei es genügt, dass der Verletzungserfolg vielleicht unerwünscht ist, aber billigend in Kauf genommen wird (bedingter Vorsatz). Bei geschäftlichem Handel ist ausreichend für eine vorsätzliche Tatbegehung die Kenntnis der Umstände des Geschäfts sowie dessen Umfang, welche beim Täter in aller Regel vorliegen wird; es genügt insoweit eine "Parallelwertung in der Laiensphäre"; die rechtlich richtige Beurteilung der normativen Tatbestandsmerkmale gehört demgegenüber nicht zum Vorsatz.[292]

 

Rz. 140

Es ist darauf zu achten, dass bei der Verletzung von Schutzgesetzen der danach erforderliche Vorsatz geprüft wird. So muss sich etwa der Betrugsvorsatz (§ 263 StGB) mit seinen kognitiven und voluntativen Bestandteilen auf die eventuelle Vermögensgefährdung beziehen, was voraussetzt, dass der Betrogene aus der Sicht des Täuschenden ernstlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen hat.[293]

 

Rz. 141

Ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, kann zweifelhaft sein. Der bedingte Vorsatz unterscheidet sich vom unbedingten Vorsatz dadurch, dass der unerwünschte Erfolg nicht als notwendig, sondern nur als möglich vorausgesehen wird. Er unterscheidet sich von der bewussten Fahrlässigkeit dadurch, dass der bewusst fahrlässig handelnde Täter darauf vertraut, der als möglich vorausgesehene Erfolg werde nicht eintreten, und aus diesem Grund die Gefahr in Kauf nimmt, während der bedingt vorsätzlich handelnde Täter sie deshalb in Kauf nimmt, weil er, wenn er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte Mittel erreichen will.[294]

[288] BGHSt 19, 295, 298.
[289] BAGE 101, 107.
[290] BGHZ 154, 11, 13 ff.
[291] OLG Hamm, Urt. v. 25.6.1980 – 20 U 76/78, VersR 1981, 178; OLG München, Urt. v. 29.3.1999 – 30 U 761/98, r+s 2000, 58 jew. zu § 152 VVG a.F., § 4 Abs. 2 Ziff. 1 AHB a.F.; MüKo-VVG/Littbarski, § 103 Rn 26.
[292] BGH, Urt. v. 15.5.2012 – VI ZR 166/11, VersR 2012, 1038: Unerlaubte Erbringung von Finanzdienstleistungen gem. § 32 KWG.
[294] BGHSt 7, 363, 370; BGH, Urt. v. 15.7.2008 – VI ZR 212/07, VersR 2008, 1407: Schneeballschlacht; BGH, Urt. v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11, VersR 2013, 200: Schädigung von Kapitalanlegern.

2. Fahrlässigkeit

 

Rz. 142

Nach § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Damit ist das auch für das Deliktsrecht maßgebliche Verschuldensprogramm gesetzlich umschrieben. Da schon fahrlässiges Verhalten meist die deliktische Haftung begründet, spielt die Differenzierung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit im Deliktsrecht nicht die gleiche Rolle wie im Strafrecht. Das Maß und der Umfang der zu verlangenden Sorgfalt bestimmt sich wie allgemein im Zivilrecht nach der Größe der übernommenen Gefahr und ist weitgehend abhängig von der Verkehrserwartung.[295] Der für die Fahrlässigkeit anzuwendende Maßstab der im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist objektiv festzulegen, sodass unerheblich ist, ob der Betroffene nach seinen individuellen Fähigkeiten, Kräften, Erfahrungen und Kenntnissen die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte.[296] ...

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