Karl-Hermann Zoll, Dr. iur. Frank Fad
Rz. 746
Gemäß § 832 Abs. 2 BGB trifft die gleiche Aufsichtspflicht denjenigen, der die Führung der Aufsicht über eine wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands aufsichtsbedürftige Person übernommen hat. So übernehmen Kindergärtner(innen), Erziehungspersonal in privaten Schulen oder Kinderheimen sowie das Pflegepersonal privater Heil- und Pflegeanstalten und auch entgeltlich verpflichtete Babysitter vertraglich die Aufsichtspflicht. Wird z.B. ein verhaltensauffälliger Jugendlicher zur kinder- und jugendpsychologischen stationären Behandlung in eine Klinik gebracht, obliegt dieser die Aufsichtspflicht. Auch dem Träger einer Behinderteneinrichtung obliegt eine vertragliche Aufsichtspflicht hinsichtlich der dort Betreuten. Entsprechendes gilt für eine psychiatrische Klinik, ein Erziehungsheim oder ein Heimerziehungs- und Pflegeheim hinsichtlich der dort Untergebrachten, aber auch für ein Krankenhaus hinsichtlich eines minderjährigen Patienten. Ein Internat übernimmt die Aufsichtspflicht hinsichtlich der dort wohnenden Schüler.
Rz. 747
Der Aufsichtsvertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden. Unentgeltlichkeit steht der Annahme einer vertraglichen Übernahme der Aufsichtspflicht nicht grundsätzlich entgegen. Insbesondere übernehmen häufig Pflege- oder Stiefeltern konkludent eine vertragliche Pflicht im Sinne des § 832 Abs. 2 BGB.
Rz. 748
Eine vertragliche Bindung ist bei einer kurzfristigen Aufsichtsübernahme aus reiner Gefälligkeit zu verneinen, z.B. wenn zwei Elternpaare die gegenseitigen Besuche ihrer vier- und sechsjährigen Kinder in ihren Wohnungen dulden und das jeweils fremde Kind zusammen mit dem eigenen beim Spielen beaufsichtigen oder durch eine Hausgehilfin beaufsichtigen lassen oder bei tatsächlicher Übernahme der Aufsicht durch Familienangehörige. In der Einladung zu einem von den Eltern gestalteten Kindergeburtstag soll dem gegenüber ein Angebot zur vertraglichen Übernahme der Aufsicht durch die Eltern oder von diesen eingesetzte Hilfspersonen liegen. Das erscheint als sehr weitgehend.
Rz. 749
Eine vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht sollte regelmäßig nur dann angenommen worden, wenn es sich um eine weitreichende Obhut von längerer Dauer und weitgehender Einwirkungsmöglichkeit handelt, z.B. bei Pflegeeltern, Kindergärtnerinnen, Aufsichts- und Erziehungspersonal in Heimen, bei längerem Aufenthalt bei Verwandten, etwa bei der älteren Schwester, die ihren minderjährigen Bruder in den Haushalt aufgenommen hat. Von einer rein tatsächlichen Übernahme einer Aufsicht ohne Bindung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn es sich um kürzere Zeiträume handelt und mit der Aufsichtsführung die Aufwendung von Kosten nicht verbunden ist, z.B. wenn die Mutter ihr Kind während ihrer Besorgung bei der Großmutter oder bei Freunden abgibt. Wenn hingegen ein Kind ständig oder jedenfalls auf längere Dauer im Haushalt eines Erwachsenen aufwächst und von diesem wie ein eigenes Kind erzogen wird oder wenn gegen Bezahlung die Aufsicht in einem Kinderheim, in einem Internat oder von anderen Personen berufsmäßig übernommen wird, so entspricht es einer sachgerechten Beurteilung der tatsächlichen Lebensvorgänge, diesem Erwachsenen die Beaufsichtigung des Kindes aufgrund eines abgeschlossenen Vertrages mit der vollen Wirkung der Haftung aus § 832 BGB zuzumuten.
Rz. 750
Keine Haftung gemäß § 832 Abs. 2 BGB ist anzunehmen, wenn eine Stadt den Schülertransport lediglich als Schulträger zu organisieren hat. Das Maß der Aufsichtspflicht kann je nach den Möglichkeiten des Pflichtigen reduziert sein. So kann von gemeinnützigen Organisationen, die Ferienaufenthalte für Kinder einkommensschwacher Eltern veranstalten, nicht verlangt werden, dass sie zur Betreuung voll ausgebildete Kräfte wie Jugenderzieher und Lehrer einsetzen. Gleichwohl sind bestimmte Mindestanforderungen von den Aufsichtspersonen zu gewährleisten. Für die Insassen eines Altersheims trifft die Leitung des Heimes grundsätzlich weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Aufsichtspflicht. Die Heimaufnahme als solche begründet jedenfalls einen solchen Vertrag nicht; die Aufsichtspflicht muss ausdrücklich im Vertrag begründet werden. Die Aufsichtspflicht des Altersheims erstreckt sich nur auf die allgemeine Aufsichtspflicht, wie sie einen Haushaltungsvorstand trifft, so dass eine Haftung aus § 832 BGB auch dann ausscheidet, wenn von den Insassen des Heims Gefahren für die Allgemeinheit, insbesondere für den Straßenverkehr, ausgehen.