a) Begriff der Entstellung
Rz. 168
Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden (§ 14 UrhG). Diese Regelung ist im Kontext mit anderen Bestimmungen zu sehen, die in gewissem Maße Änderungen, Bearbeitungen oder sogar die freie Benutzung zulassen (§§ 39, 23 und 24 UrhG). Entstellungen sind demzufolge nur solche Verzerrungen oder Verfälschungen, die die Wesenszüge des Werkes verändern. Andere Beeinträchtigungen des Werkes, die hier ebenfalls geschützt werden, sind solche, die durch die Veränderung zwar das Werk nicht entstellen, gleichwohl aber die berechtigten Interessen des Urhebers gefährden oder gefährden können, was durch Abwägung im Einzelfall festzustellen ist. Nachfolgende Einzelfälle sind durch Gesetz oder Rechtsprechung konkretisiert worden.
Rz. 169
Hinweis
§ 14 UrhG gibt den "dinglichen" Rahmen vor, nämlich die urheberpersönlichkeitsrechtliche Seite, wohingegen § 39 UrhG im Rahmen der vertraglichen Nutzungserlaubnis die Grenzen einer Änderung aufzeigt. Im Gesamtzusammenhang dieser Normen empfiehlt sich in der Praxis ein dreistufiges Prüfungsverfahren:
▪ |
Auf der ersten Stufe wird eine Entstellung oder sonstige Beeinträchtigung geprüft, |
▪ |
auf der zweiten Stufe die Eignung zur Interessengefährdung, |
▪ |
schließlich auf der dritten Stufe die Interessenabwägung. |
b) Gesetzes- und Rechtsprechungsbeispiele
Rz. 170
§ 93 UrhG regelt, dass Urheber des Filmwerkes oder der zu seiner Herstellung benutzten Werke sowie die Inhaber verwandter Schutzrechte, die bei der Herstellung des Filmwerkes mitwirken oder deren Leistung zur Herstellung des Filmwerkes benutzt werden, hinsichtlich der Herstellung und Verwertung des Filmwerkes nur gröbliche Entstellungen oder andere gröbliche Beeinträchtigungen ihrer Werke oder Leistungen verbieten können und hierbei aufeinander und auf den Filmhersteller angemessene Rücksicht zu nehmen haben.
Rz. 171
§ 62 UrhG bestimmt, dass die in den §§ 45 bis 61 UrhG zugelassenen freien Werknutzungen, wie etwa das Zitatrecht (§ 51 UrhG), dem Änderungsverbot unterliegen. Besondere praktische Bedeutung hat in diesem Kontext § 39 UrhG, der regelt, dass der Inhaber eines Nutzungsrechts das Werk, dessen Titel oder Urheberbezeichnung nicht ändern darf, es sei denn, vertraglich ist etwas anderes geregelt oder dass der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann (Abs. 2). Rechtsprechung und Literatur haben sich mit zahlreichen Einzelfällen der Entstellung und Werkbeeinträchtigung befasst, die nachfolgend für einzelne Branchen erläutert werden: In der bildenden Kunst sind Verstümmelungen und Übermalung als Entstellung angesehen worden. Die Vernichtung von Werken der bildenden Kunst wird nach überwiegender Meinung nicht als Beeinträchtigung angesehen, da das Werk als solches nicht verändert werde.
Rz. 172
Hinsichtlich der darstellenden Kunst und der Literatur gilt, dass die Veränderung der Texte durch erhebliche Streichungen als Entstellung angesehen wird. Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen direktem und indirektem Eingriff. Direkte Eingriffe sind solche, die das Werk, sei es in körperlicher (z.B. durch Veränderung einer Skulptur) oder in nichtkörperlicher Form (z.B. durch Aufführung eines Werkes in veränderter Form) betreffen. Ein indirekter Eingriff kann etwa darin liegen, dass ein Werk der bildenden Künste durch die Art seiner Ausstellung beeinträchtigt wird, etwa durch eine gewisse Art der Präsentation bei einer Ausstellung, die allerdings dann die objektiven Interessen des Urhebers beeinträchtigen muss. Hierzu zählt auch eine erheblich verletzende Kritik (Schmähkritik) an einer Kunstausstellung oder an einem sonstigen Werk eines Urhebers.
Rz. 173
Hinweis
Von großer praktischer Bedeutung sind Änderungen an Bauwerken. Problem dieser "Architektenfälle" ist, dass ein späterer Umbau im Hinblick auf die Werkart der Baukunst problematisch ist. Der BGH hat dazu ausgeführt, dass das Urheberrecht stillschweigend als selbstverständlich ein Änderungsverbot voraussetze. Denn dies habe seine Grundlage im Wesen und Inhalt des Urheberrechts. Daraus folge, dass auch der Eigentümer des Werkoriginals grds. keine in das fremde Urheberrecht eingreifende Änderung vornehmen dürfe. Es sei eine Abwägung der Interessen des Urhebers sowie des Eigentümers vorzunehmen. Zu beachten ist nunmehr die neue BGH-Entscheidung zum Designentwurf eines sog. Geburtstagszuges, wonach die früher zwingenden erhöhten Anforderungen an die Gestaltungshöhe nicht mehr verlangt werden. Es gi...