Rz. 209
Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht gehören zu den unkörperlichen Verwertungsrechten und erlangen deshalb nur dann Bedeutung, wenn die Wiedergabe öffentlich erfolgt (§ 15 Abs. 2, 3 UrhG). Vortragsrecht ist das Recht, ein Sprachwerk durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen (§ 19 Abs. 1 UrhG). Das Aufführungsrecht ist das Recht, ein Werk der Musik durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen oder ein Werk öffentlich bühnenmäßig darzustellen (§ 19 Abs. 2 UrhG).
Rz. 210
Im Bereich der Musik hat die Unterscheidung zwischen musikdramatischen Aufführungen, also dem "großen Recht", und der bloßen Musikaufführung, also dem "kleinen Recht", Bedeutung. Nur Letzteres kann von der GEMA wahrgenommen werden, wohingegen die großen Rechte als Individualrechte beim Urheber verbleiben bzw. von den Bühnenverlegern genutzt werden.
Rz. 211
Beispiel
Instruktiv ist eine Entscheidung des LG Hamburg. Es ging dabei inhaltlich um die Frage, ob Ausschnitte und/oder Teile aus dem Musical "Joseph und the amazing Tecnicolor Dreamcode" im Rahmen einer "Andrew-Llyod Webber-Musical-Gala" als dramatisch-musikalisches Werk ("großes Recht") anzusehen sind. Nur wenn es sich um ein so genanntes großes Recht handelte, konnte die Klägerin in dem Verfahren als Lizenznehmerin die Rechte gegenüber der Beklagten, einer Gastspiel- und Theaterdirektion, durchsetzen. Bei Einstufung als so genanntes kleines Recht wäre allenfalls die GEMA als Nutzungsberechtigte anzusehen. Das Gericht ist der Auffassung, dass vorliegend ein großes Recht in Anspruch genommen wurde, folglich dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zusteht. Gegenstand der Bewertung ist eine 14-minütige Version des erwähnten Stückes "Joseph …". Nach Auffassung des Gerichts findet sich das "Eigentliche des originalen Handlungsablaufs", wie er von den Urhebern Webber und Rice in Musik und Text gestaltet worden ist, bei der Darbietung der Beklagten deutlich wieder. Das Gericht untersucht nunmehr einzelne Passagen des Originals gegenüber der zu betrachtenden Bühnenfassung der Beklagten und führt dazu wörtlich aus:
Zitat
"Deutlich ist jedoch der wesentliche Handlungsablauf zu erkennen: Nach einem allgemeinen Vorspruch über den Menschen und seine Träume werden Jacob und seine Söhne vorgestellt ("Jacob and Sons" in gekürzter Fassung); die besondere Liebe Jacobs zu seinem Sohn Joseph äußert sich darin, dass jener seinem Sohn einen Mantel schenkt ("Joseph's Coat" in gekürzter Fassung). Das ärgert seine Brüder; besonders erbost sind sie aber über die Träume, die Josef ihnen erzählt ("Joseph's Dreams" in stark gekürzter Fassung: nur eine von elf Strophen und "Any Dream Will Do" – dieser von Webber an das Ende gesetzte Song fügt sich hier wegen der Traumerzählung gut ein). Sie planen ein Verbrechen: Sie überfallen Joseph, zerreißen seinen Mantel und verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten ("Pour Pour Joseph" in gekürzter Fassung). Dort wird der Pharao von Alpträumen geplagt ("Pharaoh Story" und "Pour Pour Pharaoh" in gekürzter Fassung), die Joseph ihm deutet und damit vom Pharaoh zur Nr. 2 im Staate gemacht wird ("Stone the Crows" in gekürzter Fassung). Damit endet der von der Beklagten gebrachte Ausschnitt im Wesentlichen (die beiden zum Schluss dargebotenen Songs "Give Me My Coloured Coat" und "Go, Go Joseph" haben keinen handlungsfortführenden Inhalt)."
Weiter heißt es dann:
Zitat
Die gesamte Anlage und der gedankliche Spielablauf entsprechen im Wesentlichen dem Musical "Joseph", das in seiner ersten Version von 1968 nur eine Dauer von 20 Minuten hat, also nur unwesentlich länger als die von der Beklagten gezeigte Version war. Die Aufführung enthält eben nicht eine zwanglose Aneinanderreihung von Songs, die sich "weder für das Gehör noch für das Auge des Publikums als gegenwärtig sich vollziehende Handlung darstellt. Unstreitig hat die Beklagte nicht die "großen" Rechte von der Rechtsinhaberin, nämlich der Klägerin, erworben. Der Klägerin steht daher ein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG zu. Die Beklagte ist der Klägerin des Weiteren zum Ersatz des entstandenen Schaden verpflichtet: Sie hat es mindestens fahrlässig unterlassen, sich über die Rechtslage, insbesondere die Abgrenzung der Rechte, zu erkundigen. Zur Vorbereitung dieses Anspruchs ist sie auf die begehrte Auskunft durch die Beklagte angewiesen, sodass ein Feststellungsinteresse für den Klageantrag zu 3. zu bejahen ist."
Rz. 212
Im Wesentlichen bezieht sich das Landgericht auf die durch den BGH gefundenen Abgrenzungskriterien. Entscheidend ist danach, dass über die musikalische Darbietung hinaus eine vollziehende Handlung im Sinne eines Handlungsablaufs fassbar sein muss. Bei Zusammenfassungen solcher Bühnenhandlungen kann die betreffende Darbietung als Bruchstück des Gesamtwerkes nur dann erlebt werden, wenn das Eigentliche des Handlungsablaufs, was der Handlung des Werkes ihr besonderes Gepräge gibt, zur Geltung kommt.
Rz. 213
Das Vorführungsrecht ist das Recht, ein Werk der bildend...