Rz. 547

Während früher das Verhältnis von Urhebern und Rezipienten im Fokus stand, rücken nun immer mehr die Internetnutzer sowie die Host-Provider (Plattformen) dadurch in den Vordergrund, dass überwiegend fremde Inhalte auf kommerzielle Plattformen hochgeladen werden, die damit die "Gewinner" dieser neuen Entwicklungen sind. Auch Urheber nutzen immer mehr die Möglichkeiten der (Selbst-)Vermarktung. Der Online-Vertrieb wird aber nur selten dazu führen, dass die Urheber angemessen "entlohnt" werden. Dem will die EU-Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (DSM-RL)[744] entgegentreten. Die Umsetzung erfolgte durch das Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Diensten (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz – UrhDaG) vom 31.5.2021, BGBl I, S. 1204, in Kraft getreten seit dem 1.8.2021.

[744] DSM-RL EU 2019/790 vom 17.4.2019.

I. Notwendigkeit der Modernisierung des Urheberrechts

 

Rz. 548

Die Notwendigkeit der Modernisierung des Urheberrechts hat die EU erkannt und durch eine "Querschnittsregelung" zahlreiche Themen abgearbeitet, die seit Geltung der InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG (nachfolgend: Harmonisierungsrichtlinie) angefallen sind. Zu nennen sind die Digital Single Market Richtlinie 2019/790/EU (DSM-RL) sowie die Online-SatCab-Richtlinie 2019/789/EU (Online-SatCab-RL), jeweils vom 17.4.2019.

Besonders umstritten ist Art. 17 DSM-RL, der kurz nach der Verabschiedung des EU-Parlaments am 17.4.2019 durch Polen wegen Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 1 S. 3 Grundrechte-Charta der EU (Schutz des geistigen Eigentums) vor dem EuGH angefochten wurde.[745]

Art. 17 DSM-RL schreibt in Abs. 1 vor, dass der "Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten" einer Lizenzvereinbarung bedarf (§ 1 Abs. 2 UrhDaG-E). Diese Lizenzlösung soll für eine angemessene Vergütung der Kreativen sorgen und wurde durch ein neues "Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (UrhDaG)" umgesetzt. Innovativ ist der Ansatz, in eine solche Lizenzlösung auch den User Generated Content mit einzubeziehen (Abs. 2). Das sind solche Inhalte, die Nutzer einer Internetplattform selbst einstellen.

[745] Bei einer durchschnittlichen Dauer einer Nichtigkeitsklage (anhängig unter EuGH C-401/19 BeckEuRS 2019, 60662 Polen/Europäisches Parlament) vor dem EuGH von 20 Monaten, kann es dazu kommen, dass noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Juni 2021 Art. 17 DSM-RL aufgehoben wird. Insofern stehen sämtliche Ausführungen hierzu unter diesem Vorbehalt.

II. Öffentliche Wiedergabe, Verantwortlichkeit

 

Rz. 549

Gegenstand der hier maßgeblichen Tätigkeit der Diensteanbieter (§ 2 UrhDaG) ist die "öffentliche Wiedergabe", was dann der Fall ist,

 

wenn er der Öffentlichkeit Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken (§ 21 UrhDaG erklärt sämtliche Regelungen dieses Gesetzes auch für verwandte Schutzrechte für anwendbar) verschafft, die von Nutzern des Dienstes hochgeladen worden sind (§ 1 Abs. 1 UrhDaG).

Die Regelung hat in weiten Teilen den Charakter einer lex specialis zu Art. 3 Harmonisierungsrichtlinie mit der Folge, dass für die Haftung von Diensteanbietern i.S.d. DSM-RL sowie für deren Nutzer überwiegend die Regelungsbefehle in Art. 17 DSM-RL maßgeblich sind, nicht aber Art. 3 Abs. 1 oder Art. 5 Harmonisierungsrichtlinie.[746] Konsequenz ist, dass die Schrankenregelung des Art. 5 Harmonisierungsrichtlinie nicht einschlägig ist. Weitere Folge ist die fehlende Zuordnung zu Art. 8 (öffentliche Wiedergabe) sowie zu Art. 10 WCT und Art. 9 Abs. 2 RBÜ (Drei-Stufen-Test).

 

Rz. 550

Es gilt nunmehr der Grundsatz der Haftung als Täter (Verantwortlichkeit), ohne die Haftungsprivilegierung des § 10 TMG (§ 1 Abs. 3 UrhDaG). Im Gegensatz zu den durch die Rechtsprechung für Host-Provider entwickelten Grundsätze der Störerhaftung[747] können sich die Rechtsinhaber nicht nur auf Unterlassungsansprüche, sondern auch solche auf Schadensersatz gem. § 97 UrhG berufen.[748]

 

Rz. 551

Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 13.10.2020 (RefE) sah die aus Art. 17 DSM-RL erwachsenden Ansprüche als neuartiges Rechtsregime sui generis an, das als Spezialregelung neben den Maßgaben der Harmonisierungsrichtlinie stehe. Dieser neue Ansatz wurde von Nordemann/Waiblinger[749] allerdings zu Recht kritisiert, die die "Verantwortlichkeit" in drei Ebenen aufteilten. Damit werde deutlich, dass Art. 17 DSM-RL einen "Fremdkörper" im bisherigen Gefüge, also dem Zusammenspiel zwischen Urheberrecht und Recht der Telemediendienste, der Harmonisierungsrichtlinie, der Enforcement-RL 2004/48/EU, insbesondere zur dazu ergangenen haftungsrechtlichen Rechtsprechung, darstelle. Es sei zu differenzieren zwischen der verwertungsrechtlichen, der haftungsrechtlichen sowie der schrankenrechtlichen Ebene. Auf der Verwertungsebene würden sich Art. 17 DSM-RL und Art. 3 Harmonisierungsrichtlinie nicht unterscheiden, wohl aber auf der Haftungsebene. Wie die Ausführungen des EuGH z.B. in der Entscheidung "The Pirate Bay"[750] bele...

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