Rz. 444
Ein Schwerpunkt der Neuregelungen des Urheberrechtsgesetzes durch den Ersten Korb betrifft den Schutz technischer Maßnahmen, die aufgrund Art. 6 der Harmonisierungsrichtlinie in §§ 95a und 95b (Vierter Teil im neuen Abschnitt 1 "Ergänzende Schutzbestimmungen", §§ 95a–95d UrhG) ihren Niederschlag finden. Art. 7 dieser Richtlinie regelt Pflichten in Bezug auf Informationen für die Rechtewahrnehmung und wurde in § 95c UrhG aufgenommen. § 95d UrhG geht auf Kennzeichnungspflichten über die Eigenschaften der technischen Maßnahmen ein. Mit diesen Bestimmungen wurden zugleich die Vorgaben aus Art. 11 und 12 WIPO-Copyright Treaty (WCT) sowie Art. 18 und 19 WIPO-Performances and Phonograms Treaty (WPPT) erfüllt. Nach § 137j Abs. 1 UrhG gilt § 95d Abs. 1 UrhG seit dem 1.12.2003.
1. Umgehungsverbot technischer Schutzvorrichtungen
Rz. 445
§ 95a UrhG spricht das Verbot der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen aus (Abs. 1). Dabei kommt es auf die verwendete Technologie nicht an, miterfasst sind also auch software-implementierte Schutzmaßnahmen. Verlangt wird Umgehungsabsicht, obwohl solch ein subjektives Element für einen objektiven Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG nicht verlangt wird. Technische Maßnahmen sind definiert als Technologien, Vorrichtungen und Bestandteile, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Gegenstände betreffende Handlungen, die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind, zu verhindern oder einzuschränken. Hinsichtlich des Merkmals "wirksam" wird darauf abgestellt, dass es eine Zugangskontrolle, einen Schutzmechanismus wie Verschlüsselung, Verzerrung oder sonstige Umwandlung oder einen Mechanismus zur Kontrolle der Vervielfältigung geben muss (Abs. 2). Unter diese Verbotsnorm fallen auch vorbereitende Handlungen wie etwa die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung, der Verkauf oder die Vermietung und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen, die Erbringung von Dienstleistungen und schließlich verkaufsfördernde Maßnahmen, die auf Umgehungshandlungen gerichtet sind (Abs. 3). Ausgenommen sind Handlungen, die im Zusammenhang mit Aufgaben und Befugnissen öffentlicher Stellen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder der Strafrechtspflege stehen (Abs. 4). Ergänzt wird Abs. 4 in Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 DSM-RL dadurch, dass es Kulturerbe-Einrichtungen erlaubt wird, technische Schutzmaßnahmen zu überwinden, um den Zugang zu nicht mehr verfügbaren Werken tatsächlich zu ermöglichen. Allerdings müssen die Voraussetzungen des § 61d UrhG vorliegen. Es darf also keine repräsentative Verwertungsgesellschaft existieren, die dann gem. §§ 51 ff. VGG lizenzieren könnte. In der Gesetzesbegründung ist der Fall aufgeführt, dass eine Einrichtung des Filmerbes ein nicht mehr verfügbares Filmwerk vervielfältigen und öffentlich zugänglich machen will, das nur noch auf einer kopiergeschützten DVD in ihrem Bestand vorhanden ist. Dann greift dieser Ausnahmetatbestand.
§ 69f UrhG enthält eine entsprechende Regelung für nicht mehr verfügbare Computerprogramme.
Rz. 446
Hinweis
Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht sich mit der Verfassungsmäßigkeit der § 95a Abs. 1 und 3 sowie § 95b Abs. 1 Nr. 6 UrhG beschäftigt. Der Kläger trug vor, dass es ihm nicht mehr möglich sei, eine Sicherungskopie der von ihm rechtmäßig erworbenen CDs und DVDs, die mit einer Verschlüsselung versehen seien, zu fertigen. Dies stelle einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht dar. Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Grundrechtsverletzung wurde unter anderem deshalb abgelehnt, weil durch die Einführung der angefochtenen Vorschriften für den Beschwerdeführer keine substanzielle Änderung eingetreten sei. Insbesondere unterlägen Selbsthilfemaßnahmen zur Umgehung des Kopierschutzes lediglich für private Zwecke keiner Strafandrohung. Tatsächlich nehmen § 108b Abs. 1 und § 111a Abs. 1 Nr. 1a UrhG die Umgehung des Kopierschutzes zum eigenen privaten Gebrauch von straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen aus.
Rz. 447
In diesem Zusammenhang sei auch auf das "Gesetz über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten" vom 19.3.2002 (Zugangskontrolldiensteschutz-Gesetz – ZKDSG) verwiesen, das im Falle (ausschließlich) entgeltlich erbrachter Rundfunkdarbietungen, Tele- und Mediendienste vor technischen Verfahren schützt, die eine unerlaubte Nutzung dieser Inhalte ermöglichen.
Rz. 448
Dies soll dadurch erreicht werden, dass die Verbreitung von "Umgehungsvorrichtungen" verboten wird, worunter etwa Software und Chipkarten zur rechtswidrigen Entschlüsselung verschlüsselter Inhalte zählen ...