Rz. 1077
Sind Verletzungen auf zwei (oder mehr) verschiedene Ereignisse zurückzuführen, ist für einen Schadenersatzanspruch gegen den Verursacher des ersten Ereignisses nur dann Raum, wenn eine einigermaßen verlässliche Abgrenzung der Auswirkungen der verschiedenen Schadenereignisse möglich ist Die Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 1 ZPO können bei unvollständigen Angaben über die Schadenentstehung nicht gewährt werden. Zur Mehrfachverletzung bei einzigem Schadensereignis (identischer Schadenursprung) Rdn 468.
Rz. 1078
Ein in den Kausalverlauf eingreifendes Fehlverhalten Dritter (insbesondere bei der Schadensbeseitigung) unterbricht den Zurechnungszusammenhang regelmäßig nicht.
Rz. 1079
Bei der Beweisführung für die haftungsausfüllende Kausalität richten sich die Anforderungen nach § 287 ZPO. Die Beweisführung betrifft alle weiteren Schäden und Beschwerden einschließlich einer etwa fehlerbedingten Verschlimmerung von Vorschäden, und zwar gleichermaßen bei der Haftung aus Vertrag und Delikt.
Rz. 1080
Soweit dem Verletzten damit Schadenersatzansprüche (zum Grund und der Höhe nach) zustehen, gehen dann die Ersatzansprüche über (Zession)
Rz. 1081
▪ |
nicht nur auf Drittleistungsträger (Regress gegenüber Ersatzpflichtigem u.a. nach § 116 SGB X), |
Rz. 1082
▪ |
sondern auch auf etwaige Gesamtschuldner nach § 426 Abs. 2 BGB (Innenausgleich der Gesamtschuldner). |
Rz. 1083
Ein Arzt haftet für seine Fehler ohne Rücksicht auf ein Mitverschulden des Patienten anlässlich des davor liegenden Haftpflichtereignis (gestuft) gesamtschuldnerisch mit dem Erstschädiger; für den Arzt ist ohne Relevanz, warum jemand von ihm zu behandeln ist.
Rz. 1084
Bei der Abwägung der Schädigerbeiträge anlässlich des Gesamtschuldnerinnenausgleichs kann der Beitrag des Erstschädigers (Unfallverursacher) vollständig hinter den Beitrag des Krankenhauses zurücktreten, wenn der Beitrag des Zweitschädigers wesentlich eher geeignet ist, Schäden der konkreten Art herbeizuführen.
Rz. 1085
Beispiel 2.9
(Mehrfachschädigung)
1. Unfall: A erleidet bei einem Unfall, den A und X zu gleichen Teilen verursacht haben, eine Beinfraktur.
2. Unfall: Der zum Unfallort gerufene Krankenwagen, der A in das nächstgelegene Krankenhaus K transportieren soll, missachtet an einer Ampelkreuzung das Rotlicht und kollidiert mit dem Fahrzeug des Y. Aufgrund der Gesamtumstände trifft den Krankenwagenfahrer Z eine Mitverantwortlichkeit von 25 %. A wird – obwohl im Krankenwagen ordnungsgemäß gesichert – bei diesem Unfall erneut verletzt. A bricht sich einen Arm.
3. Unfall: Im Krankenhaus K eingetroffen, wird dort schuldhaft eine Epiduralblutung bei A übersehen. Wäre diese Blutung erkannt und ausgeräumt worden, wäre A nach ca. vier Wochen beschwerde- und folgenfrei entlassen worden. A fällt in ein Koma und endet als Pflegefall. Die Kopfverletzung und die daraus resultierende Blutung stellt sich als Folge des Unfalles mit Y heraus.
Folgen:
Die größte Schwierigkeit bereitet in der Praxis die Trennung der einzelnen Ursachenanteile am Gesamtbeschwerde- und Verletzungsbild sowie die daraus resultierenden Mehrkosten.
Ein interdisziplinäres Gutachten von Medizinern und Unfallsachverständigen kann die Verletzungen, deren Zuordnung zum jeweiligen Verletzungsgeschehen und die jeweiligen Dauerfolgen ermitteln. Unter Einbeziehung dieser Feststellungen stellt sich der Schaden im Detail wie folgt dar:
1. |
Unfall Aufgrund der Kollision mit X erlitt der A eine Beinfraktur. Ohne Berücksichtigung einer Haftungsquote hätte A ein Schmerzensgeld von 10.000 EUR erhalten. Ihm und den Drittleistungsträgern (Arbeitgeber, SVT) wären an materiellen Körperschäden 40.000 EUR zu ersetzen gewesen. |
2. |
Unfall Die Kollision von Y und Z führte zu einer Kopfverletzung mit Einblutung sowie zu einer Armfraktur. Die Kopfverletzung hätte zu einer Verteuerung der stationären Kosten aufgrund der DRG-Systematik geführt, der Arbeitsunfähigkeitszeitraum hätte sich nicht geändert. Infolge der Armfraktur hätte sich die Heilungsphase um zwei Monate verzögert. Insgesamt verteuert sich der dem A entstandene Schaden (incl. Schmerzensgeld) um 10.000 EUR (Direktanspruch und Drittleistungsträger). |
3. |
Unfall Durch die Fehlbehandlung im Krankenhaus K wird A zum Pflegefall. Die dem A und Drittleistungsträgern entstehenden weiteren Schäden (inkl. Schmerzensgeld) betragen 400.000 EUR. |
Ergebnis:
1. |
Verantwortlichkeit des X X haftet gesamtschuldnerisch für alle späteren Folgen (auch aus den weiteren Unfällen), soweit der Kausalzusammenhang nicht unterbrochen ist, beschränkt aber auf seine Haftungsquote von 50 %. X hat – da eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges nicht anzunehmen ist – daher auch die Folgen aus dem Fehlverhalten später eingreifender Dritter (Y, Z und K) mit zu ersetzen. X tritt ein für den von ihm selbst verursachten Schaden (50.000 EUR), ferner aber auch für die von Y, Z und K herbeigeführten Schäden i.H.v. weiteren 10.000 EUR und 400.000 EUR, insgesamt also 460.000 EUR. Da A den Unfall mi... |