Rz. 1253

Die Rechtsprechung zur Einziehungsermächtigung bezieht sich ausschließlich auf den Forderungsübergang auf einen Träger der Sozialhilfe, für dessen Leistungen der Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) gilt.[1282] Siehe Rdn 63, 1298; § 3 Rdn 208.

 

Rz. 1254

Weitere Ausnahmen gelten bei Rechtsnachfolge[1283] und für Ansprüche, die nur sukzessive nach § 6 EFZG, § 86 VVG (§ 67 VVG a.F.), § 179 Abs. 1a SGB VI,[1284] übergehen. Hier binden anspruchsbeeinflussende/-erledigende Erklärungen des Rechtsvorgängers den Rechtsnachfolger: Rechtsvorgänger kann zum einen ein anderer Drittleistungsträger sein, zum anderen aber auch der Verletzte selbst, wenn der Forderungsübergang nicht im Unfallzeitpunkt erfolgt, sondern später (z.B. Arbeitgeber, private Krankenversicherung, aber auch bei erst später begründetem Sozialversicherungsverhältnis).

 

Rz. 1255

 

Beispiel 2.14

Der Arbeitnehmer X wird am 12.1.2021 bei einem Verkehrsunfall verletzt.

1. X schließt am 15.2.2022 mit dem Haftpflichtversicherer V des Schadenersatzpflichtigen einen Vergleich, wonach V dem A alle künftigen materiellen Schäden mit einer Haftungsquote von 60 % zu ersetzen hat.
2.

Auch Drittleistungsträger verlangen Erstattung ihrer an X erbrachten Aufwendungen:[1285]

a. Der Rentenversicherer RVT verlangt Ersatz des Beitragsschadens sowie Ersatz einer Reha-Maßnahme.
b. Der Arbeitgeber AG verlangt Ersatz der Lohnfortzahlung in der Zeit vom 12.1. – 15.2.2021 sowie für die Zeit der Materialentfernung (1.10. – 30.10.2022),
c. die private Krankenversicherung P verlangt Ersatz der ihr Januar 2021 und Oktober 2022 entstandenen Aufwendungen.
d. Nachdem X im Jahre 2023 unfallkausal vorzeitig verrentet wird, verlangt auch die berufsständische Versorgung / betriebliche Altersversorgung Ersatz ihrer Aufwendungen.[1286]

Die Frage der Unfallkausalität der Aufwendungen ist außer Streit.

3. Aufgrund neuer Tatsachen stellt sich Anfang 2023 heraus, dass die Haftungsquote mit 80 % hätte angenommen werden müssen.[1287]

Ergebnis:

1.

X selber kann keine Nachbesserung verlangen.

Der Vergleich mit X legt verbindlich die Haftungsquote mit 60 % fest. X verzichtet zwar nicht – wie bei einem vorbehaltlosen Abfindungsvergleich – auf sämtliche künftige Ansprüche, er spricht allerdings einen Teilverzicht (nämlich i.H.v. 40 % seiner Ansprüche) aus.

2. Der Rentenversicherer (RVT) erwirbt die Forderung nach § 116 SGB X und nach § 119 SGB X im Unfallzeitpunkt und kann die Quote eigenständig festmachen, und zwar ohne dass die Einigung im Verhältnis X und V rechtlich verbindlichen Einfluss hat.
3.

Der Arbeitgeber (AG) erwirbt die Forderung des X erst mit seiner jeweiligen Zahlung.

a. Hinsichtlich der Lohnfortzahlung unmittelbar nach dem Unfall erfolgte der Forderungsübergang (§ 6 EFZG) auf AG mit der Fortzahlung (und nicht schon im Unfallzeitpunkt) bereits im Januar und Februar 2021, sodass X durch den Abfindungsvergleich am 15.2.2015 auf das Forderungsvolumen keinen Einfluss mehr nehmen konnte.
b. Mit dem Vergleich am 15.2.2022 verzichtete X auf 40 % seiner künftigen Ersatzansprüche. Soweit AG dann im Oktober 2022 Lohn fortzahlte, bestand eine Ersatzforderung des X nur noch in Höhe der Haftungsquote von 60 %, auf die weiteren 40 % hatte X verzichtet. AG erwirbt von X im Oktober 2022 also nur gekürzt Ansprüche und kann maximal 60 % seiner Lohnfortzahlung ersetzt verlangen.
c. Anmerkung: Hätte AG mit V im Februar 2021 eine Ersatzquote von 50 % verbindlich auch für weitere Lohnfortzahlungen vereinbart, könnte A nicht mehr als diese 50 % verlangen. Es handelt sich um einen auf künftig dem A noch zuwachsende konkrete Forderungen zugeschnittenen Vergleichsvertrag.
4.

Für die private Krankenversicherung (P) gilt dasselbe wie für AG. § 86 VVG läuft rechtlich identisch zu § 6 EFZG.

a. Für die Forderung aus Januar 2021 verhandelt P die Quote selbstständig (auch unter Beachtung eines Quotenvorrechtes z.B. zugunsten einer gesetzlichen Krankenkasse).
b. Für die Forderung aus Oktober 2022 hat X die Haftungsquote[1288] verbindlich vorgegeben.
5.

Die berufsständische Versorgung / betriebliche Altersversorgung (bV) erwirbt per Abtretung Rechte des X.

Die Abtretung an bV erfolgte erst nach der Abfindung des A.

Soweit A auf seine Rechte ganz (z.B. durch vorbehaltlose Abfindung) oder teilweise (z.B. Vereinbarung einer Haftungsquote) verzichtet hat, trifft diese Vereinbarung die bV als Rechtsnachfolger des X unmittelbar.

[1282] BGH v. 1.7.2014 – VI ZR 391/13 – BeckRS 2014, 17219 = GesR 2014, 601 = jurisPR-VerkR 24/2014 Anm. 2 (Anm. Jahnke) = MDR 2014, 1201 = NJOZ 2016, 384 = openJur 2014, 19785 = r+s 2014, 525 = SP 2014, 373 = UV-Recht Aktuell 2014, 773 = VersR 2014, 1226 = zfs 2015, 80.
[1283] OLG Koblenz v. 25.4.2005 – 12 U 289/04 – BeckRS 2005, 05349 = VersR 2006, 1382 (Anm. Keller VersR 2006, 1607).
[1284] BGH v. 1.7.2014 – VI ZR 546/13 – BGHZ 202, 1 = jurisPR-VerkR 16/2014 Anm. 3 (Anm. Jahnke) = MDR 2014, 1025 = NZS 2014, 701 = openJur 2014, 15105 = r+s 2014, 632 = SP 2014, 334 = VersR 2014, 1025 = zfs 2015, 20.
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