Rz. 195

Verletzte haben nicht nur Ansprüche gegenüber dem Unfallverursacher (Schadenersatzpflichtiger), sondern auch gegenüber Drittleistungsträgern (wie SVT, Arbeitgeber, Privatversicherung).[154]

[154] Dazu Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 6 Rn 5 ff.

aa) Sozialversicherungsträger – Sozialhilfeträger

 

Rz. 196

Bei der Schadenabwicklung ist zwingend und strikt auseinander zu halten, ob es sich um Leistungen der Sozialversicherung (SVT) oder solche der Sozialhilfe (SHT) oder Eingliederungshilfeträger handelt.

 

Rz. 197

Sozialversicherer sind die gesetzliche Kranken- (seit 1883), Pflege- (seit 1995), Renten- (seit 1911) und Unfallversicherung (seit 1884). Die 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung ist im Rechtssinne keine Sozialversicherung.[155] Den Träger der Eingliederungshilfe gibt es erst seit 1.1.2020.

 

Rz. 198

Rechtsgrundsätze, die für die Sozialversicherung entwickelt wurden, gelten definitiv nicht automatisch auch für die Sozialhilfe.[156]

[155] BGH v. 17.10.2017 – VI ZR 477/16 – BGHZ 216, 174 = MDR 2018, 149 = NJW 2018, 618 = NJW-Spezial 2018, 10 = r+s 2018, 51 = UV-Recht Aktuell 2017, 714 = VersR 2018, 57 = zfs 2018, 145.
[156] BGH v. 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 – BeckRS 2022, 32822 = MDR 2023, 38 (nur Ls.) = MedR 2023, 176 = openJur 2022, 21358 = r+s 2023, 35 (Anm. Burmann, r+s 2023, 93) = VersR 2023, 129; BGH v. 24.4.2012 – VI ZR 329/10 – BeckRS 2012, 11294 = GesR 2012, 475 = jurisPR-SozR 13/2012 Anm. 6 (Anm. Dahm) = jurisPR-VerkR 14/2012, Anm. 2 (Anm. Jahnke) = MDR 2012, 840 = NJW 2012, 3639 (Anm. Giesen, NJW 2012, 3609) = NJW-Spezial 2012, 394 = NZS 2012, 752 (nur Ls.) = NZV 2012, 577 (Anm. Dahm, NZV 2012, 575) = r+s 2012, 414 = SP 2012, 284 = VersR 2012, 924 = VRS 123, 167 (Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind nicht auf Sozialleistungen eines SHT zu übertragen).

(1) Sozialversicherung (SVT)

 

Rz. 199

Die deutsche Sozialversicherung (§ 4 SGB I) ist ein gesetzliches als Solidargemeinschaft ausgeprägtes Versicherungssystem. Es bietet als Teil der sozialen Sicherung finanziellen Schutz vor Lebensrisiken und deren Folgen (wie Alter, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Invalidität, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall). Die (weitgehend verpflichtend) zu versichernden Risiken (Sozialversicherungszweige) werden weitgehend aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, teilweise auch aus Steuermitteln, und stehen – mit Ausnahme der Krankenversicherung – in keinem Wettbewerbsverhältnis zueinander.

 

Rz. 200

SVT sind diejenigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die – außerhalb der Krankenversicherung – aufgrund von Zuweisungen für den jeweiligen Versicherten zuständig sind.

(2) Arbeitsagentur

 

Rz. 201

Die Arbeitsagentur ist kein SVT,[157] aber als Sozialleistungsträger ihm vielfach angenähert (vgl. § 116 Abs. 10 SGB X), auch wenn einige Leistungsbereiche eher der Sozialhilfe nahestehen (z.B. ALG II). Der Bundesagentur für Arbeit kommt eine Zwitterstellung[158] zu: Ein Teil ihrer Leistungen setzt ein Sozialversicherungsverhältnis voraus, während andere unabhängig davon erbracht werden.

[157] BGH v. 17.10.2017 – VI ZR 477/16 – BGHZ 216, 174 = MDR 2018, 149 = NJW 2018, 618 = NJW-Spezial 2018, 10 = r+s 2018, 51 = UV-Recht Aktuell 2017, 714 = VersR 2018, 57 = zfs 2018, 145. Ausführlich Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadenersatzrecht, 4. Aufl. 2015, § 2 Rn 603 ff., § 4 Rn 527 ff., 608.
[158] BGH v. 18.10.2022 – VI ZR 1177/20 – BeckRS 2022, 32822 = MDR 2023, 38 (nur Ls.) = MedR 2023, 176 = openJur 2022, 21358 = r+s 2023, 35 (Anm. Burmann, r+s 2023, 93) = VersR 2023, 129 (Rn 17).

(3) Sozialhilfe (SHT)

 

Rz. 202

Die Sozialhilfe (§§ 9, 28 SGB I, SGB XII) hat als öffentlich-rechtliche Sozialleistung im System der sozialen Sicherheit die Funktion einer Grundsicherung und setzt die staatliche Verpflichtung (Art. 20 Abs. 1 GG) um, einen Mindeststandard des menschenwürdigen Daseins sicherzustellen. Sozialhilfe (mit Ausnahme der Grundsicherung) setzt ein, sobald dem SHT bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (§ 18 SGB XII); und zwar ohne dass es eines Antrages bedarf.

 

Rz. 203

SHT ist diejenige Institution, die für die Ausführung der Sozialhilfe zuständig ist und die in ihrem Zuständigkeitsbereich die Kosten der Sozialhilfe zu tragen hat (§ 28 Abs. 2 SGB I, § 3 SGB XII).

(4) Träger der Grundsicherung

 

Rz. 204

Den "Träger der Grundsicherung"“[159] gibt es seit dem 1.1.2005 nicht mehr. Nach §§ 8 Nr. 2, 41 ff. SGB XII ist die Grundsicherung eine vom örtlichen SHT (§ 98 Abs. 1 S. 2 SGB XII) zu erbringende Sozialhilfeleistung, für die seit dem 1.1.2005 § 116 SGB X mit allen Beschränkungen und Besonderheiten bei der Eintrittspflicht eines SHT gilt.

 

Rz. 205

§ 116 SGB X nennt als gesetzliche Zessionare "Versicherungsträger" und "Träger der Sozialhilfe", nicht aber einen "Träger der Grundsicherung i.S.d. GSiG". Die Gesetzesänderung in § 116 Abs. 10 SGB X zum 1.8.2006 zugunsten des "Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II“ gilt nicht für die zu diesem Zeitpunkt bereits nicht ...

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