Rz. 73
Die Abwicklung eines Schadenfalles erfolgt in folgenden Schritten (siehe auch Beispiel 2.1, Rdn 98):
(1)1. Schritt
Rz. 74
Im ersten Schritt wird festgestellt,
▪ |
ob überhaupt (Haftungsnorm) |
▪ |
und dann in welcher Höhe (Schadensersatznorm) der Schadenersatzpflichtige |
Leistungen zu erbringen hat.
Rz. 75
Auf den Punkt gebracht heißt das: "Was muss der Schadenersatzpflichtige zahlen, an wen auch immer?" Ob Drittleistungsträger einzutreten haben, hat an dieser Stelle außer Betracht zu bleiben; es ist also ein völlig fehlendes Drittversorgungssystem zu unterstellen. Der Geschädigte ist bei dieser Betrachtung auf sich allein gestellt und hat nur den Ersatzpflichtigen als den Schaden ausgleichende Person. Die Leistungsbeziehung ist dabei allein schadenersatzrechtlich geprägt.
Rz. 76
Einwendungen aus dem Schadenersatzverhältnis zwischen dem verletzten Ersatzberechtigten und dem Ersatzpflichtigen zum Haftungsgrund (wie Mitverantwortung, Haftungsersetzung [Arbeits-/Dienstunfall], Haftungshöchstsumme) und zur Schadenhöhe (z.B. Vorteilsausgleich, Witwenquotenvorrecht) prägen diesen Prüfungsschritt (dazu Rdn 353 ff.).
Rz. 77
Im 1. Schritt wird also der vom Ersatzverpflichteten (Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer) zur Verfügung zu stellende Geldbetrag ermittelt. Mehr steht zur Verteilung an die durch den Haftpflichtfall anspruchsberechtigten unmittelbar Geschädigten und Drittleistungsträger nicht zur Verfügung (Begrenzung der Leistung des Ersatzpflichtigen). Dieser Schritt begrenzt den vom Schadenersatzpflichtigen aufzuwendenden Betrag nur nach oben, nicht aber nach unten (dazu Rdn 78 ff.).
(2) Zwischenschritt
(a) Unzureichende Geldleistung
Rz. 78
Während der Schädiger in seiner Person regelmäßig unbegrenzt haftet, gelten Abweichungen, wenn und soweit ein Haftpflichtversicherer in Anspruch genommen wird, der nur unvollkommen Deckung aufgrund eines Versicherungsvertrages zu gewähren hat. In einem Zwischenschritt ist gegebenenfalls zu klären, ob die zur Verfügung stehende Versicherungssumme (oder Haftungshöchstsumme) ausreicht, um den festgestellten Schaden zu befriedigen.
Rz. 79
Sollte dies nicht der Fall sein, kann eine ungleiche (also nicht relative, vgl. § 116 SGB X [§ 1 Rdn 161, Beispiel 1.3]) Verteilung zwischen unmittelbar geschädigter Person und Drittleistungsträgern in Betracht kommen.
(b) Angehörigenprivileg
Rz. 80
Die Aufwandsminderung wegen eines greifenden Angehörigenprivilegs (§ 116 Abs. 6 SGB X, § 86 Abs. 3 VVG/§ 67 Abs. 2 VVG a.F.) ist nicht nur bei der Ermittlung einer nur begrenzt zur Verfügung stehenden Geldmenge zu berücksichtigen. Feststellungen zu einer etwaigen Privilegierung sind auch im Verlaufe der weiteren Entwicklung zu kontrollieren.
Rz. 81
Das Privileg führt dazu, dass ein Teil des im 1. Schritt (Rdn 74 ff.) ermittelten Geldbetrages vom privilegierten Schadenersatzpflichtigen (an Drittleistungsträger) nicht auszukehren ist.
(3)2. Schritt
Rz. 82
Im zweiten Schritt wird sodann ermittelt, wem (unmittelbar verletzte Person, Drittleistungsträger, Abtretungs-/Pfändungsgläubiger) die zuvor bestimmten Leistungen ganz oder teilweise zustehen (Bestimmung der Aktivlegitimation/Forderungsberechtigung). Forderungsübergänge, Kongruenzen und Quotenvorrechte sind jetzt zu beachten. Siehe dazu Rdn 86 ff., Rdn 113 ff.
Rz. 83
Der im 1. Schritt ermittelte Betrag erhöht sich im 2. Schritt nicht. Mehr als im 1. Schritt als Zahlbetrag festgelegt wurde, steht im 2. Schritt nicht zur Verfügung. Plakativ formuliert geht es im 2. Schritt ausschließlich noch um die Frage: "Wer bekommt welchen Anteil aus der im 1. Schritt abschließend festgestellten zur Verfügung stehenden Geldmenge?"
Rz. 84
Reicht die im 1. Schritt ermittelte Geldmenge nicht aus, alle Forderungssteller zu befriedigen, kommt es zu Kürzungen. Es macht daher vorausschauend Sinn, bereits im 1. Schritt die zur Verfügung stehenden Schadenersatzleistung (Geldmenge) nach schadenkongruenten Gruppen aufzuteilen.
Rz. 85
Schwebt ein Rechtsstreit zwischen dem unmittelbar Anspruchsberechtigten (verletzte oder hinterbliebene Person) und einem SVT oder anderem Drittleistungsträger (z.B. über dessen Eintrittspflicht bzw. den Anspruch auf Gewährung einer Sozialleistung oder deren Höhe), ist ein Zivilrechtstreit des Verletzten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Sozialrechtsstreits nach § 148 ZPO auszusetzen. Siehe hierzu auch § 3 Rdn 210 ff.