Rz. 166

Körperliche Beeinträchtigung und ihre Folgen werden von diversen leistungsbestimmenden Einstufungen begleitet.

(1) Sozialrechtliche Messgrößen

 

Rz. 167

Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u.a. folgende sozialrechtliche Messgrößen:[139]

Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE, § 56 Abs. 2 SGB VII) i.S.d. Sozialversicherungsrechts,
Grad der Behinderung (GdB, § 69 SGB IX) i.S.d. Schwerbehindertenrechts,
Grad der Hilflosigkeit (GdH) / Pflegebedürftigkeit (GdP) (§ 15 Abs. 1 SGB XI),
Grad der Schädigungsfolgen (GdS, § 30 Abs. 1 BVG).
 

Rz. 168

MdE, GdB und GdS sind unterschiedliche Bemessungsgrößen. Der GdB ist regelmäßig höher als die MdE und berücksichtigt zudem stets das gesamte (nicht immer auch ausreichend objektivierbare) Beschwerdebild und nicht nur (wie in der gesetzlichen Unfallversicherung) den unfallkausalen Anteil.

 

Rz. 169

Die Einschätzung der MdE erfolgt durch den gesetzlichen UVT, der sich zur Einschätzung gesammelter Erfahrungswerte bedient, ohne allerdings diese Erfahrungswerte unter Außerachtlassung der Einzelfallumstände schematisch anwenden zu dürfen.[140]

 

Rz. 170

Der GdS ist nur auf einen bestimmten Schaden und die Schädigungsfolgen (also kausal) bezogen, während der GdB darüber hinaus alle Beeinträchtigungen und Gesundheitsstörungen in allen Lebensbereichen unabhängig von ihrer Ursache (also final) einbezieht.

 

Rz. 171

Der GdB ist das Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Die von der MdE abweichende Bezeichnung wurde eingeführt, um ausdrücklich klarzustellen, dass nicht (isoliert) eine Leistungsbeeinträchtigung im Erwerbsleben, sondern eine Beeinträchtigung in allen Lebensbereichen berücksichtigt wird.

 

Rz. 172

Der GdB wird auf Antrag durch ärztliche Gutachter bestimmt (§ 152 SGB IX).[141] GdS und GdB werden nach gleichen Grundsätzen bemessen (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, Teil A Ziff. 2 lit. a). Grundlage ist die VersMedV[142] mit der GdS-Tabelle (VersMedV Teil B). Der GdB variiert (in Zehnerschritten gestaffelt) zwischen den Graden 20 und 100. Diese Feststellung wird generell – und nicht bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz – vorgenommen. Es handelt sich um eine Gradierung – und nicht um eine Prozentangabe (wie bei der MdE). Ein festgestellter GdB bleibt nicht für immer gleich, sondern kann sich bei gesundheitlichen Veränderungen (Verbesserung, Verschlechterung) nach oben oder unten ändern. Der GdB ist u.a. wichtig für die Frage, ob eine vorgezogene Altersrente wegen Schwerbehinderung (§ 37 Nr. 2 SGB VI) bezogen werden kann (GdB von mindestens Grad 50).

 

Rz. 173

Abstrakt beschriebene Beeinträchtigungen (z.B. Hinweis auf eine "MdE") erleichtern u.a. für Vorbehalte in Vergleichen die Festlegung desjenigen Punktes, zu dem ein Neueinstieg in die Regulierung erfolgen soll. Die anschließende Regulierung erfolgt dann aber anhand konkret nachgewiesener Beeinträchtigungen und tatsächlich erforderlicher Mehranforderungen.[143] GdS/GdB sind regelmäßig ungeeignet für die Abgrenzung in Vorbehaltsvergleichen; der Moment des Anspruches auf vorgezogene Altersrente ist dabei aber zu sehen.

 

Rz. 174

Die leistungsrechtlichen Bewertungspunkte charakterisieren auch denjenigen künftigen Moment, zu dem weitere oder höhere Leistungen von dritter Seite (SVT, Sozialleistungsträger pp.) in Betracht kommen.

 

Rz. 175

Anspruch auf abschlagfreie Altersrente haben Menschen, die die Wartezeit (= Mindestversicherungszeit) von 35 Jahren erfüllt haben, anerkannt schwerbehindert (Grad der Behinderung mindestens 50; Nachweis durch Schwerbehindertenausweis) sind und die jeweilige Altersgrenze für ihren Jahrgang (§ 236a SGB VI) erreicht haben.[144]

[139] Ergänzend Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 4 Rn 952 ff.
[140] Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 4 Rn 998. LSG Stuttgart v. 13.12.2023 – L 3 U 865/22 – jurisPR-SozR 4/2024 Anm. 4 (Anm. Becker) (Bei dem Konsenspapier der MdE-Expertengruppe nach Überprüfung der MdE-Erfahrungswerte bei Gliedmaßenverlusten [MdE-Eckwerte] vom Oktober 2019 handelt es sich um tragfähige Erfahrungssätze für die MdE-Bemessung von unfallbedingten Gliedmaßenverlusten und/oder -einschränkungen).
[141] Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 4 Rn 957 ff.
[143] BGH v. 8.11.1977 – VI ZR 117/75 – FamRZ 1978, 236 (nur Ls.) = MDR 1978, 396 = VersR 1978, 149; KG v. 15.2.1982 – 12 U 3843/81 – VersR 1982, 978 = VRS Bd. 62, 326; OLG Oldenburg v. 29.7.1997 – 5 U 46/97 – BeckRS 1997, 7636 = MDR 1998, 47 = NJWE-VHR 1998, 18 = VersR 1998, 1380.
[144] Siehe ergänzend Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 6 Rn 1162 ff.

(2) Anderweitige Messgrößen

 

Rz. 176

Keine sozialrechtlichen Messgrößen s...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge