Rz. 912
Hinweis
Siehe auch Rdn 898 ff., 1514 ff.
Rz. 913
§ 356 StGB – Parteiverrat
(1) |
Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft. |
(2) |
Handelt derselbe im Einverständnis mit der Gegenpartei zum Nachteil seiner Partei, so tritt Freiheitsstrafe von 1 Jahr bis zu 5 Jahren ein. |
Rz. 914
Zu den anwaltlichen Grundpflichten Rdn 899 ff.
(1) Interessenkollision
Rz. 915
Hinweis
Siehe auch Rdn 901 ff., 1514.
Rz. 916
Die Rechtsprechung hat keine einheitliche Linie, was auch aus der gesplitteten Zuständigkeit des BGH mit verschiedenen Zivil- und Strafsenaten sowie des Anwaltssenates resultiert.
Rz. 917
Ein Anwalt dient dann pflichtwidrig, wenn er einer Partei Rat und Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Sache bereits Rat und Beistand geleistet hat. "Rechtssache" kann jede rechtliche Angelegenheit sein, die zwischen mehreren Beteiligten mit jedenfalls möglicherweise entgegenstehenden Interessen nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll.
Rz. 918
Auf Einhaltung des Verbotes, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a BRAO), kann ein Mandant grundsätzlich nicht verzichten.
(2) Straf-/Ordnungswidrigkeitsverfahren
Rz. 919
Eine Vertretung des Fahrers im Straf-/Ordnungswidrigkeitsverfahren schließt die zivilrechtliche Vertretung der Insassen (unabhängig vom Verwandtschaftsgrad) aus. Gleiches muss auch dann gelten, wenn nur zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem weiteren Unfallbeteiligten verfolgt werden; auch hier ist der Fahrer potentieller Anspruchsgegner der weiteren Insassen auch in einem Klageverfahren.
Rz. 920
§ 356 StGB gehört zu den "opferlosen" Delikten, die keine Individualrechtsgüter schützen, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität der Anwalt- und Rechtsbeistandschaft. § 356 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.
(3) Eigentümer
Rz. 921
Pflichtwidrigkeit besteht bei gleichzeitiger Vertretung von Fahrer und Eigentümer eines Fahrzeuges jedenfalls dann, wenn die Haftung unklar ist: Der Fahrzeugeigentümer kann aus der Überlassung des Fahrzeuges Ersatzansprüche (z.B. aus pVV des Leihvertrages) gegenüber dem Fahrer haben.
(4) Fahrzeuginsassen
Rz. 922
Da Insassen bei Verkehrsunfällen nach dem 31.7.2002 auch gegenüber Fahrer und Halter des eigenen Fahrzeuges i.d.R. verschuldensunabhängig Ansprüche haben, stellt sich für den eingeschalteten Anwalt verstärkt die Fragen der Interessenkollision (siehe auch § 3 BORA) und der Strafbarkeit i.S.v. § 356 StGB. Das in § 43a Abs. 4 BRAO als anwaltliche Berufspflicht normierte Verbot, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten, geht über die Strafbestimmung des § 356 StGB hinaus.
Rz. 923
Ob ein Anwalt im Anschluss an einen Straßenverkehrsunfall gleichzeitig Fahrer und als Insasse Geschädigte vertreten darf, ist streitig:
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Teilweise wird eine Interessenskollision im Hinblick auf den Direktanspruch (§ 115 VVG) des verletzten Insassen gegenüber dem KH-Versicherer des "eigenen" Fahrzeugs verneint. Daher müssten die Interessen des Fahrers bzw. Halters nicht in die Überlegungen zur Regulierung einbezogen werden und keinen Interessenskonflikt herbeiführen. Das gelte vor allem dann, wenn der Anwalt die potentiellen Mandanten umfassend über ihre Ansprüche belehrt habe und sie ihn gleichwohl ausdrücklich um eine gleichzeitige Vertretung gebeten haben. Allein die abstrakte Möglichkeit, dass im Zuge der Schadensregulierung die Interessen eines der Beteiligten tangiert werden, könne zur Begründung eines Interessenskonflik... |