Rz. 291

Rechnet jemand in einem Zivilprozess damit, dass durch sein prozessuales Vorbringen die auf Beklagtenseite auftretenden Personen getäuscht werden und diese irrtumsbedingt zu einer selbstschädigenden Vermögensverfügung veranlasst werden, kann er sich wegen Prozessbetruges (§ 263 StGB stellt auch fremdnützigen Betrug unter Strafe) strafbar machen. Seine Strafbarkeit entfällt auch dann nicht, wenn das unwahre oder unvollständige Vorbringen in erster Linie für den Richter bestimmt war.[257] Wenn der BGH[258] festhält, dass § 138 ZPO verlangt, dass von Amts wegen zu prüfende rechtsvernichtende Einwendungen offenzulegen sind, bedeutet dies insbesondere, dass die die Aktivlegitimation bestimmenden Aspekte (u.a. Bezug von Drittleistungen wie Renten, Sachleistungen [z.B. in Form von Unterbringung in speziellen Einrichtungen wie beschützenden Werkstätten; Betreuung nach Maßgabe des SGB IX]) vom Geschädigten (und seinen Vertretern) ungefragt zu eruieren und mitzuteilen sind.

 

Rz. 292

Der BGH[259] führt aus:

Zitat

"(19) Welcher Inhalt der (ausdrücklichen oder konkludenten) Erklärung zukommt, bestimmt sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die Erwartungen der Beteiligten. In aller Regel muss der Inhalt konkludenter Kommunikation deshalb auch unter Bezugnahme auf die Verkehrsanschauung und den rechtlichen Rahmen bestimmt werden, von denen die Erwartungen der Kommunikationspartner ersichtlich geprägt sind. Bei der Ermittlung des Erklärungswertes eines konkreten Verhaltens sind sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte zu berücksichtigen."[260]

(20) Allerdings kann auch in der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen.[261] Denn der Verkehr erwartet in diesem Zusammenhang vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruchs ist und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen kann.[262] … Die Annahme einer schlüssigen Täuschung setzt daher voraus, dass mit dem Einfordern einer Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird. Wann der Rechtsverkehr der Geltendmachung einer Forderung schlüssig zugleich die Behauptung bestimmter anspruchsbegründender Tatsachen beimisst, ist Tatfrage.[263]

(54) In § 138 ZPO hat der Gesetzgeber im Interesse einer geordneten Rechtspflege geregelt, dass die Prozessparteien subjektiv wahrhaftig im Sinne eines Verbots wissentlicher Falschangaben die tatsächlichen Umstände behaupten und bestreiten müssen.[264] Diese Wahrheitspflicht besteht als echte Pflicht gegenüber dem Gericht und dem Gegner.[265] Deshalb erwarten die Beteiligten in einem zivil- oder arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit – nicht anders als das zur Entscheidung berufene Gericht – einen Sachvortrag, der den Vorgaben des § 138 ZPO entspricht,[266] wobei das Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot des § 138 ZPO auch verlangt, dass von Amts wegen zu prüfende rechtsvernichtende Einwendungen offenzulegen sind.[267]

 

Rz. 293

 

§ 263 StGB – Betrug

(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
 

Rz. 294

§ 263 BGB ist Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Soweit anstelle des Schadenersatzpflichtigen dessen Haftpflichtversicherer geleistet hat, erfasst der Forderungsübergang nach § 86 VVG auch den Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB; rein vorsorglich kann die Forderungsberechtigung auf Abtretung der Ersatzansprüche der versicherten Person gestützt werden. Im Bereich der Direktklage nach dem VVG folgt die Forderungsberechtigung des leistenden, wegen unwahrer Auskünfte ersatzverlangenden, Haftpflichtversicherers auch aus § 115 Abs. 1 S. 1, 4 VVG.

 

Rz. 295

 

§ 138 ZPO – Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
 

Rz. 296

Auch § 138 ZPO (Wahrheitspflicht) ist Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.[268]

[257] BGH v. 4.5.2022 – 1 StR 138/21 – BeckRS 2022, 22840 = DVBl 2022, 1374 = JR 2023, 292 = NJW-Spezial 2022, 633 = NStZ 2023, 37.
[258] BGH v. 4.5.2022 – 1 StR 138/21, BeckRS 2022, 22840 = DVBl 2022, 1374 = JR 2023, 292 = NJW-Spezial 2022...

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