Rz. 410
Besteht zwischen verletztem Kind und der seine Pflichten verletzenden Person im Unfallzeitpunkt eine zuvor begründete rechtliche, vor allem vertragliche, Sonderrechtsbeziehung, kommt es zu einer Anrechnung des Mitverschuldens nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB.
Rz. 411
Eine – zur Anspruchskürzung beim Kind führende – Sonderbeziehung ist anzunehmen bei einem mit dem Schädiger zuvor abgeschlossenen Vertrag mit dem oder für das Kind, aber auch bei einem Vertrag (z.B. der Eltern) zugunsten oder mit Schutzwirkung für Dritte. Ausreichend ist, wenn das Kind in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist.
Rz. 412
Hätte das Kind, welches in die Schutzwirkung eines Vertrages einbezogen ist,
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einerseits wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten einen Schadenersatzanspruch gegen den Schadenstifter, |
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so besteht andererseits zugleich ein dergestaltes Sonderrechtsverhältnis (Schuldverhältnis), bei dessen Anbahnung (culpa in contrahendo [cic], §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) bzw. Abwicklung (positive Vertragsverletzung [pVV], §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) sich ein Verschulden (§ 276 BGB) des gesetzlichen Vertreters (§ 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 278 BGB) unmittelbar anspruchskürzend beim verletzten Kind auswirkt. |
Rz. 413
Die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses hat die für ihn nachteilige Folge, dass er sich als Geschädigter das Verschulden Dritter nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB anrechnen lassen muss. Dies gilt nicht nur für vertragliche Ansprüchen (wie §§ 280 ff. BGB) des Geschädigten, sondern auch für Ansprüche aus Delikt.
Rz. 414
Vorstehendes gilt auch für Verträge, die das Kind selbst (Taschengeldparagraph, § 110 BGB) oder mit Zustimmung der Eltern (§ 107 BGB) geschlossen hat.
Rz. 415
Nicht nur der privaten, sondern auch der kassenärztlichen Behandlung liegt ein (auch Dritte schützendes) Vertragsverhältnis zugrunde (siehe §§ 630a ff. BGB, ferner §§ 27 Abs. 1, 72, 95 SGB V). Diesem Aspekt kommt auch Bedeutung zu bei Fehlern des die Unfallverletzung behandelnden Arztes.
Rz. 416
Verletzt ein Handwerker anlässlich eines Reparaturauftrages seinen Vertragspartner oder eine Person, der Ansprüche über die Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte zustehen (u.a. Kinder des Auftragsgebers), hat sich eine nicht-deliktsfähige verletzte Person das etwaig gegebene Mitverschulden ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen zu lassen.
Rz. 417
Vertragsbeziehungen prägen nicht zuletzt den Freizeitbereich, z.B. anlässlich einer Reise, bei Besuch von Schwimmbad, Sportveranstaltung, Kino, Restaurant, Ferien-/Freizeitparadies, Vergnügungs-/Abenteuerpark. Ein Mitverschulden der Eltern (nicht zuletzt Auswahlverschulden) ist überall dort, wo Eintritt oder kontrollierter Zutritt gewährt wird, in Betracht zu ziehen. Es ist nicht erforderlich, dass für das Kind ebenfalls der Zu-/Eintritt bezahlt wird (z.B. "Kinder bis 8. Lebensjahr frei", "Kinder unter 110 cm kostenloser Zutritt").
Rz. 418
Auch die Mitgliedschaft in demjenigen Verein, welcher den Schaden verantwortlich verursachte, kann ein Sonderrechtsverhältnis begründen. Gleiches gilt für Jugendgruppen (z.B. Pfadfinder; kirchliche Institution). Zu prüfen ist u.a. auch ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Institutionen.
Rz. 419
Bejaht man Ansprüche eines Kunden bei Betreten eines Einkaufscenters aus cic/pVV, kann dieses auch für begleitende Kinder gelten (cic/pVV eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte).
Rz. 420
Eine vor dem Unfall begründete vertragliche Beziehung kann bei Abschluss eines Beförderungsvertrages (§ 328 BGB) vor allem im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) (z.B. Taxi, Bus, Bahn) in Betracht kommen. Bei Unfällen beim Transport von Kindern kürzt dann ein vorwerfbares Fehlverhalten des gesetzlichen Vertreters den kindlichen Ersatzanspruch unmittelbar.
Rz. 421
Der (häufig nur zeitweiligen) Unterbringung bei Dritten (wie Kindergarten, Verein, Jugendgruppe, Kinderfrau) liegen nicht selten vertragliche Beziehungen zugrunde, die § 254 Abs. 2 S. 2 BGB grundsätzlich anwendbar werden lassen. Parallel stellt sich die Frage nach einem Haftungsverzicht.