Rz. 780
Die Aspekte und Konsequenzen einer Abfindung eines Betreuten ohne familiengerichtliche Genehmigung verdeutlicht die nachstehende Entscheidung des OLG Köln.
Rz. 781
Der Kläger K leidet an einer angeborenen Herzerkrankung. Am 4.4.2005 kam es im Anschluss an eine Behandlung zu schweren Herzrhythmusstörungen und einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Nach der Reanimation verblieb bei K eine hypoxische Hirnschädigung mit Tetraparese; K befindet sich seitdem im Wachkoma.
Daten:
22.10.1982: |
Geburtstag des K, gesundheitlich vorbelastet. |
23.4.2004: |
Implantation eines Defibrillators. |
1.4.2004: |
Veränderte Medikation. |
4.4.2005: |
Herzrhythmusstörungen, hypoxische Hirnschädigung (Wachkomapatient); streitige Fehlbehandlung im Krankenhaus. |
22.9.2010: |
Gerichtlicher Vergleichsvorschlag des OLG Köln (Beschluss): 500.000 EUR. |
19.3.2012: |
Gerichtlicher Vergleichsvorschlag des OLG Köln (Termin): 750.000 EUR. |
6.6.2012: |
Bei vorangegangenem Streit über die ärztliche Haftung ergeht ein rechtskräftiges Feststellungsurteil zulasten der Beklagten. |
17.10.2013: |
Außergerichtlicher Abfindungsvergleich zwischen Anwaltskanzlei RA1 und der seit langem als Betreuerin eingesetzten Mutter zwecks endgültiger Erledigung (restliche 1.050.000 EUR bei bereits gezahlten 600.000 EUR). |
24.2.2014: |
AG Siegburg bestellt Rechtsanwalt RA2 zum weiteren Betreuer (Aufgabenkreis u.a. Überprüfung der Vergleichsvereinbarung mit B und Geltendmachung etwaiger weiterer Forderungen). |
2016: |
Neue Anwälte erachten den geschlossenen Vergleich für unwirksam und beziffern Forderungen von annähernd 10.000.000 EUR. |
Ergebnis:
1. |
Da die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts nicht erteilt worden ist, sind die Abfindungserklärung und der mit ihr verbundene Vergleich nicht wirksam. |
2. |
Die Entscheidung ist inhaltlich richtig.
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Aspekte von Treu und Glauben (zugunsten des Ersatzpflichtigen) wurden nicht diskutiert. |
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Fragen der Verjährung sind nicht angesprochen. Die Hemmung ist mit der Zahlung entfallen (Fristenlauf ist allerdings nicht bekannt). |
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Anmerkung:
Wichtig ist der Unterschied zwischen der Vertretung Minderjähriger und Volljähriger. Es besteht die Gefahr, dass oberflächliche Leser der Entscheidung nicht genau hinschauen, weil von der "Mutter" gesprochen wird. Der Geschädigte war im Zeitpunkt der Abfindung 31 Jahre alt und wurde (rechtlich nur zufällig) weiterhin von seiner Mutter betreut. Wäre es ein anderer, nicht familiär zugeordneter Vertreter (Vormund, Pfleger, Betreuer) gewesen, käme der insofern richtigen Entscheidung eher weniger Bedeutung zu. Die Gefahr der Verwechselung mit der elterlichen Vertretung Minderjähriger ist allerdings hoch.
Rz. 782
Die im Medizinrecht ergangene Entscheidung hat Bedeutung für die komplette Personenschadenregulierung. Sie zeigt die Gefahren auf, wenn man einen Vergleich mit einem betreuten Nicht-Geschäftsfähigen schließt; und das gilt gerade auch für "kleinere" Personenschäden. Eine ähnliche Thematik taucht auf, wenn Eltern am Schadengeschehen beteiligt und damit in ihrer Vertretungsmacht betroffen sind.
aa) Vormundschaftsgericht – Betreuungsgericht – Familiengericht
Rz. 783
Seit dem Inkrafttreten des FamFG zum 1.1.2009 (Art. 112 Abs. 1 FGG-RG) ist anstelle des zuvor zuständigen Vormundschaftsgerichts das Betreuungsgericht (§§ 271 ff. FamFG) für Betreuungs- und Unterbringungsangelegenheiten Volljähriger das berufene Gericht, während die Zuständigkeiten für Angelegenheiten Minderjähriger beim Familiengericht konzentriert sind.
Rz. 784
Das Betreuungsgericht ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) das für Betreuungs- und Unterbringungsangelegenheiten Volljähriger berufene Gericht.
Rz. 785
Das Familiengericht (§ 23b GVG) ist zuständig für Familiensachen (§§ 111 ff. FamFG).
Rz. 786
Im württembergischen Teil von Baden-Württemberg übernimmt der zuständige Notar die Funktion des Betreuungsgerichtes (dazu §§ 36 S. 2, 37 Landesgesetz Baden-Württemberg über die freiwillige Gerichtsbarkeit [LFGG]).
bb) Einschaltung des Familien-/Betreuungsgerichtes
Rz. 787
Rz. 788
Die Einschaltung und Genehmigung des Familien-/Betreuungsgerichtes ist für den Abschluss von Abfindungsvergleichen erforderlich in folgenden Fällen:
Rz. 789
Übersicht 2.16: Erforderlichkeit familien-/betreuungsgerichtlicher Genehmigung
Einschaltung des Familien-/Betreuungsgerichts (Gesetzesstand ab 1.1.2023) |
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erforderlich |
nicht erforderlich |
Gerichtsverfahren |
Es fehlt... |